Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
»Noch etwas?«
»Die übliche menschliche Gemengelage aus Lügen und Torheit«, sagte Cary. »Hast du gewusst, dass Geder über die Geister der Toten gebietet und dass des Nachts Gespenster in den Straßen umgehen, die seine Feinde aufstöbern?«
»Das hat er gar nicht erwähnt«, erwiderte Cithrin. »Gut zu wissen. Also, wenn das alles ist …«
Mikel grinste. »Nun«, sagte er, »eigentlich …«
Cithrin hob die Augenbrauen.
»Das machst du immer«, warf Charlit Sun ein. »Genau das ist es, wovon ich wegen Eine Tragödie aus Tarsk gesprochen habe. Wenn du einen Effekt erzielen willst, nimmst du immer die Pause.«
»Sie hat einen Effekt«, sagte Smit.
»Ja, ja«, erwiderte Charlit Sun, »sie verzögert und nervt.« Sie warf einen Kieselstein nach Mikel.
»Eigentlich«, drängte Cithrin.
»Eigentlich«, sagte Mikel ein wenig ernüchtert, »habe ich herausgefunden, wo sich dein Paerin Clark versteckt. Er ist in einem Gästehaus von Canl Daskellin untergekrochen, was auch ein recht guter Einfall war, da die Herberge, in der ihr gewohnt habt, abgebrannt ist.«
»Sie ist abgebrannt?«, fragte Cithrin.
»In der vierten Nacht nach dem Aufstand«, erwiderte Cary.
»Meine Kleider waren dort drin«, murmelte Cithrin.
»Zwölf Leute waren dort drin«, sagte Sandr. »Zwei waren noch Kinder.«
Cithrin musterte Sandr. Vor nicht allzu langer Zeit war sie kurz davor gewesen, ihn sich zum Liebhaber zu nehmen. Während sie jetzt so dasaß, schien die Weisheit ihrer Entscheidung, es doch nicht zu tun, wie ein Feuer in der Nacht zu leuchten.
»Ja, ich bin eine kleinliche, gemeine Frau«, sagte sie, »und ich gräme mich wegen der Toten und der Leidenden, aber ich wollte meine verdammten Kleider wirklich zurückhaben. Könnt ihr zu Paerin gelangen, oder ist er genauso wachsam wie der Priester?«
»Er empfängt keine Besucher, die er nicht kennt«, erwiderte Mikel.
»Nun gut«, sagte Cithrin. »Ich brauche etwas, worauf ich schreiben kann.«
Die Geheimschrift der Gesellschaft stand ihr immer noch klar vor Augen, und die Nachricht war kurz: Habe Zugang zum Lordregent und Prinz Aster. Welche Fragen soll ich stellen? Antwort durch denselben Überbringer. Sie dachte darüber nach, noch etwas hinzuzufügen, das offenlegte, wo sie sich befand, wo Geder und Aster sich befanden, aber sie tat es nicht. Wenn er Geder und Aster wollte, konnte er zu ihr kommen.
Es war eine der wichtigsten Lektionen des Finanzwesens. Der Schlüssel zu Reichtum und Macht war leicht formuliert und schwer umzusetzen: Befinde dich zwischen den Dingen. Narineiland war eine eisige Insel mit kaum genug urbarem Land, um die eigene Bevölkerung zu versorgen, und es verfügte über keine besonderen Rohstoffe, aber die Strömungen des Ozeanischen Meeres sorgten dafür, dass es sich zwischen Fern-Syramis und dem übrigen Kontinent befand. Und daher hatte es große Reichtümer. Nun war Cithrin in die Lage von Narineiland versetzt worden, und auch wenn es nicht so bleiben würde, konnte sie nur gewinnen, je länger sie in dieser Stellung verharrte.
»Also gut«, sagte sie und reichte Mikel das Blatt. »Ich werde, so schnell ich kann, wegen der Antwort zurückkommen.«
»Wie läuft es im Untergrund?«, fragte Cary.
»Beklommen, langweilig und jederzeit bereit, alldem ein Ende zu machen. Aber wir lassen Aster hinaufschleichen, um zum Ausgang und hinaus ins Tageslicht zu schauen. Das scheint zu helfen.«
»Gut. Wenn das alles vorüber ist, hoffe ich, der Lordregent erinnert sich daran, wer seine Freunde sind. Ich habe beinahe alle Edelsteine aufgebraucht, die der Prinz am Körper trug.«
»Wirklich?«
»Mit einer reifen Orange könnte ich mehr kaufen als mit einer dieser Perlen«, erklärte Cary. »In einigen Vierteln geht bereits der Hunger um. Wenn nicht alles schnell endet, werden wir bald noch viel mehr Leute sterben sehen. Und es werden keine Lords und Adligen sein, die in einer ruhmreichen Schlacht fallen.«
Als es nichts mehr zu sagen gab, schob sich Cithrin einen Sack über die Schulter, der vier neue Weinschläuche, einen handtellergroßen Laib Hartkäse, eine Flasche Wasser, etwas altbackenes Brot und eine doppelte Handvoll getrocknete Kirschen enthielt. Sie blickte über den Spalt hinaus. Die Luft war neblig, und die gegenüberliegende Seite der Brücke wirkte bereits etwas grauer als die Dinge, die näher lagen. Im Augenblick brannte es nirgends, aber es gab keinen Grund zu erwarten, dass das die ganze Nacht über so bleiben würde.
Sie war
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