Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
»Toilettentür«). Die Weibchen ließen sich zwei oder drei Meter neben dem Fahrzeug ins Gras fallen, als seien sie nach einem Viertagesmarsch endlich ans Ziel gelangt. Der männliche Löwe stoppte kurz, dann schlenderte er auf den Landrover zu. Zu der Seite, auf der Siebeneisen saß. Der soeben feststellte, dass er vergessen hatte, neben sich selbst auch seinen linken Arm sowie den linken Fuß mit in das Innere des Landrovers zu holen. Der Fuß stand auf der Trittleiste und ragte eine Fußlänge ins Freie. Der Arm baumelte sehr lässig obendrüber.
Adrenalin ist ein chemisch eher simpel gestricktes Hormon. Ein nervaler Reiz fördert die Umwandlung von Tyrosin zu Dopamin zu Adrenalin, und schon legen sich Puls und Herzfrequenz ins Zeug. Vor allem in der Frühzeit der menschlichen Evolution besaß diese in Sekundenschnelle ablaufende Kettenreaktion eine immense Bedeutung: Nur, weil genügend Adrenalin produziert wurde, konnten unsere Vorfahren sich vor dem Mammut in Sicherheit bringen. Dem Säbelzahntiger. Oder, ja, doch: dem Löwen. Das funktionierte auch deshalb über die Jahrzehntausende ganz passabel, weil die Leute früher nicht einfach hocken blieben und darauf warteten, dass sie gefressen würden. Niemand ließ früher einen Löwen freiwillig so nahe an sich herankommen, dass man das Schwefelgelb in seinen Augen sehen konnte. Früher rannte man üblicherweise weg, kletterte auf einen Baum oder sprang von der Klippe ins Meer. Auf keinen Fall blieb man sitzen. Auf gar keinen Fall.
»Nicht bewegen!« Kenneths Stimme war nicht mehr als ein Zischen vom Fahrersitz. Er hätte aber gar nichts zu sagen brauchen: Siebeneisen saß sowieso bereits schockstarr auf seinem Sitz, und der Epaulettenflughund mit seinen sensiblen Ohren im Baobab hoch über dem Auto registrierte in diesem Moment sicherlich ein wild pumpendes Herz, Blutdruck schätzungsweise 230/118. Der König der Löwen aber schlenderte zielstrebig auf die Stelle zu, an der Siebeneisens Gliedmaßen aus dem Auto hingen – alles andere schien ihn überhaupt nicht zu interessieren. Siebeneisen suchte O’Shadys Blick; als er ihn fand, war darin nichts Beruhigendes. Eher etwas, das man bei Menschen sieht, die gerade mit Schrecken an hochkomplizierte Briefwechsel mit Hinterlassenen und Versicherungsgesellschaften denken. Der Löwe war jetzt an Siebeneisens Fuß angekommen und begann, an der Sohle herumzuschnüffeln. Und dann an ihr zu lecken. Siebeneisens Fuß wackelte hin und her, und der Löwe schleckte weiter, und Siebeneisen überlegte, in was er da wohl hineingetreten war, aber bevor er zu einer Lösung kam, gab der Löwe ein gewaltiges Knurren von sich. Er sah Siebeneisen in die Augen. Als wolle er fragen, ob vielleicht noch ein bisschen mehr von dieser leckeren, zertretenen belgischen Praline da sei und ob er das wohl auch noch bekommen könne. Als nichts passierte, schüttelte er seine Rastamähne und gab ein markerschütterndes Brüllen von sich. Er drehte sich um und ging vom Auto weg. Wie auf Befehl standen die Weibchen auf und liefen hinter ihm her. Wenige Sekunden später hatte das Steppengras sie verschluckt.
So war das gewesen in den beiden vergangenen Tagen, und jetzt waren die Müsliriegel aufgegessen und der Gin ausgetrunken und die Teelichter abgebrannt, und O’Shady griff nach dem Gewehr und nickte in Richtung des großen Steines. »Ich nehme mal wieder mein Plätzchen ein. Gehen Sie ruhig schlafen. Marcus, kannst du mich dann gegen Mitternacht ablösen?«
»Aye, aye, Sir!«
»Sam übernimmt dann die letzte Wache ab drei. O. k.? Sam?«
Der Ranger war ein paar Schritte von ihnen weggegangen. Er sah ins Dunkel. Beziehungsweise: hörte hinein.
»Stimmt was nicht?«
Sam legte den Zeigefinger über die Lippen. Er schien etwas zu hören.
»Da kommt jemand.«
»Was?« O’Shady schaute zweifelnd. »Um diese Uhrzeit?«
Sam nickte. Er hob den Zeigefinger. Und dann hörten sie es auch. Sie hörten Italienisch. Mehrere Personen, laut diskutierend. Und dann tauchte vor ihnen ein Bus auf.
»Eine Nachtsafari! Das gibt’s doch nicht!« Marcus schaute zu dem Bus, als komme der Rosenmontagsumzugswagen der Mainzer Ranzengarde auf sie zu. Sam runzelte die Stirn. O’Shady sah auf die Uhr.
»Die 20-Uhr-Fahrt aus dem Tavango Camp. Wenn die das sind, dann ist das da draußen die Straße zwischen Tingara und Tuhimba. Dann sind es bis zum Tavango Camp vielleicht zwölf Kilometer. Und wir Idioten haben einen geschlagenen Tag hier gesessen, dreihundert
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