Doppelspiel
Mann.«
»Ich weiß nicht, wo er ist.«
Kuchin seufzte. Einen Augenblick später lag Katie auf dem Kabinenboden, und Blut floss ihr übers Gesicht. Ihr Gehirn versuchte noch immer, das zu verarbeiten, als sie an den Haaren wieder hochgerissen und auf den Sitz zurückgeworfen wurde. Sie hielt sich das Gesicht und versuchte, das Blut aufzuhalten, das aus ihrer Nase strömte.
Dann spürte sie etwas an ihrer Wange.
Kuchin hielt ihr ein Handtuch hin.
»Sie müssen das entschuldigen«, sagte er. »Ich bin sehr impulsiv. Aber Sie müssen verstehen, dass ich Ihren Freund wirklich dringend sehen muss. Er schuldet mir etwas.«
»Und was?«, fragte Katie langsam und mit geschwollenen Lippen.
»Auch das ist für Sie nicht von Bedeutung.«
»Ich weiß nicht, wo er ist. Und das ist die Wahrheit.«
»Aber Sie können Verbindung zu ihm aufnehmen.«
»Nein, kann ich nicht. Ich …« Sie verstummte, als Kuchin ihr Handy in die Höhe hielt.
»Es ist ausgesprochen interessant, dass wir zwei Handys bei Ihnen gefunden haben. Eines hatten Sie in der Hand und das andere in Ihrer Handtasche. Das in Ihrer Handtasche war wie jedes andere Handy auch. Die üblichen Kontakte, Mails, Kalender. Doch das hier, dieses Telefon, hat nichts dergleichen. Tatsächlich sind laut Gesprächsliste nur zwei Telefonate damit getätigt worden. Aber jetzt wieder zu dem Mann, den ich suche, Ihrem Freund. Warum glaube ich nur, dass er genau die Art von Mann ist, der Ihnen so ein Handy geben würde?«
»Hat er aber nicht«, sagte Katie und wischte sich das Gesicht ab.
»Dann haben Sie sicher kein Problem damit, wenn ich diese Nummer zurückrufe, oder? Nur um zu sehen, wer drangeht.«
Katie senkte kurz den Blick. Sie rang nach Luft und versuchte, ihre Nerven wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Was zum Teufel hat Shaw jetzt schon wieder angestellt, dass so ein Typ sauer auf ihn ist?
»Ich interpretiere Ihr Schweigen als Bestätigung.«
»Er wird nicht kommen.«
»Das glaube ich schon.«
»Warum?«, fragte Katie.
Kuchin schaute auf das Foto von Shaw und ihr. »Ich denke, Sie wissen warum.«
Kapitel neunzig
S haw lag gerade auf der Couch, als es passierte. Er setzte sich auf, schaute sich die Rufnummer an und erkannte sie sofort. Das war das Handy, das Frank Katie gegeben hatte. Sie rief ihn wieder an. Shaw ließ sich auf die Couch zurückfallen. Er würde nicht drangehen. Was wäre auch der Sinn davon gewesen? Er hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen, weil er mit Reggie geschlafen hatte. Frank hatte ihm vorgeworfen, Annas Andenken beschmutzt zu haben, und vielleicht hatte er ja recht damit. Shaw wusste noch immer nicht so recht, wie das hatte passieren können. Aber er wusste, dass er es gewollt hatte. Er hatte die Frau auf eine Art gewollt, wie er noch niemanden gewollt hatte. Vielleicht noch nicht einmal Anna. Er konnte es nicht erklären, und ihm fehlte auch die Kraft, es zu versuchen.
Das Handy hörte auf zu klingeln. Shaw setzte sich wieder auf und rieb sich den Kopf. Jetzt fühlte er sich sogar noch schuldiger, weil er nicht drangegangen war. Das Handy klingelte erneut. Okay, jetzt hatte er die Chance, es doch noch richtig zu machen.
»Hallo?«
»Bill Young?«
Die Stimme aus der Krypta war wie ein Schlag ins Gesicht. Shaw fürchtete sich so gut wie nie vor irgendwas. Dabei war es nicht so, als wäre er unvorsichtig oder als betrachte er sich selbst als unverwundbar. Im Laufe der Zeit war lähmende Angst einfach aus seiner Psyche gestrichen worden. Er verbrachte viel Zeit in Gefahr. Wenn er da ständig vor Angst erstarren würde, dann wäre er längst tot. Wenn er überleben wollte, durfte seine Angst ihn nicht besiegen.
Doch jetzt fürchtete sich Shaw wie schon lange nicht mehr; aber er hatte keine Angst um sich selbst.
»Wo haben Sie diese Nummer her?« Er kannte die Antwort bereits, und doch hoffte er wider alle Vernunft, dass er sich irrte.
Die nächste Stimme, die er hörte, zerstörte diese Hoffnung jedoch. »Shaw, bleib weg. Tu nicht , was der Kerl dir sagt. Bleib einfach weg.«
Katie klang verängstigt, aber auch entschlossen. Diese wenigen Worte reichten aus, um Shaw daran zu erinnern, wie mutig die Frau war. Sie saß neben einem der größten Psychopathen des Jahrhunderts, und trotzdem verlangte sie von Shaw, sie sterben zu lassen. Frank hatte recht gehabt. Shaw hatte sie nicht verdient.
»Mr Shaw ?«, sagte Kuchin.
»Wie sind Sie auf sie gekommen?«
»Das ist jetzt egal«, antwortete Kuchin. »Ich habe sie, und jetzt
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