Dornteufel: Thriller (German Edition)
unablässig gegen die Fensterscheiben prallten, ließen Ryan Ferland kaum die Ampel an der nächsten Kreuzung sehen. Er hatte sich in seinem Büro verschanzt, einen Milchkaffee und zwei Bagels mit italienischem Schinken auf seinem Schreibtisch, und rief seine E-Mails ab.
Seit Paula fort war, konnte er ja essen, was er wollte. Er musste nicht mehr ihre harten Vollkornbrote mit Ziegenkäse, Gurken, Blattsalat und glitschigen Tomaten aus Schüler-Lunchboxen essen, deren Inhalt auf der Fahrt von Queens hierher oft zu einer unappetitlichen Pampe geworden war. Wenn er heute den ganzen Tag lang Big Macs oder Choc Choc Chips und Almond Coconut Crunch Cookies aus dem Cookie Island am Broadway verspeisen wollte, kümmerte es sie nicht mehr. Paula lebte inzwischen bei ihrer ökologisch-dynamischen Freundin in Philadelphia. Doch seltsamerweise hatte er jetzt, wo es egal war, nicht einmal mehr Appetit auf Kuchen oder Fastfood. Er sehnte sich danach, mal wieder Schnittchen in einer pinkfarbenen Lunchbox vor sich zu haben. Wenn er ehrlich war, hatte er generell keinen großen Appetit mehr, und das war, mit der Diagnose Krebs allemal, ein schlechtes Zeichen. So schlecht, wie Rebecca Sterns höfliche, aber direkte Ablehnung, weiter mit ihm zu korrespondieren und seine Fragen über ihre Schwester zu beantworten.
Ferland wusste nicht mehr weiter. Moira Sterns Tod war vielleicht sein letzter richtiger Fall, und er scheiterte daran, ebenso wie er am Leben gescheitert war.
Eine halbe Stunde später waren Kaffee und Bagels vernichtet, und er hatte die Akte Stern noch einmal von hinten nach vorn durchgelesen, ohne eine neue Erkenntnis hinzugewonnen zu haben. Er hatte bloß ein weiteres Mal erkannt, dass alles unschlüssig und höchst unbefriedigend war. Ihm fehlten Informationen darüber, ob Moira wegen ihrer Hautveränderungen Ärzte konsultiert hatte. War sie im Krankenhaus gewesen? Er bezweifelte, dass sie krankenversichert gewesen war. Ihre Schwester sollte so etwas freilich wissen … Sein Telefon blinkte. June Cassidy informierte ihn leicht außer Atem, dass er zu Anthony Graziano ins Büro kommen sollte.
»Was gibt’s denn?«, erkundigte er sich. Hatte sich Rebecca Stern etwa eine Hierarchieebene höher über ihn beschwert?
»Keine Ahnung. Nur zu deiner Information, Ferland: Dr. Rungford ist gerade wutschnaubend hier reingestiefelt.«
»Noch besser. Ich komme sofort.«
»Würde ich dir auch geraten haben.«
Beim Anblick seines Vorgesetzten schwante Ferland nichts Gutes. Anthony Graziano saß hinter seinem Schreibtisch, die Arme verschränkt, das Kinn vorgereckt, und seine Gesichtsfarbe glich auf besorgniserregende Weise seinem modischen weinroten Hemd. Zum Glück war eine Ärztin anwesend: Fiona Rungford – Dr. Rungford – hatte auf dem Besucherstuhl Platz genommen. Sie hatte ein Bein über das andere geschlagen und wippte mit dem Fuß, während sie ihn feindselig anstarrte. Da er nicht vor den beiden stehen wollte wie ein Schuljunge, zog Ferland sich aus der Sitzgruppe einen Stahlrohrstuhl herbei und setzte sich ebenfalls. Er positionierte sich so, dass er sowohl die Ärztin als auch seinen Chef im Blick hatte. Ferland lehnte sich zurück, das altgediente Sitzmöbel knackte, und das obere Rohr drückte sich in seine Wirbelsäule. Er fühlte sich so, wie er sich gab: erwartungsvoll, aber nicht beunruhigt oder gar besorgt.
»Dr. Rungford hat mir gerade mitgeteilt, dass sie offiziell Beschwerde gegen dich einlegen will, Ferland«, sagte Graziano ohne irgendeine Einleitung.
»Weshalb?«
»Tun Sie doch nicht so, Ferland«, schnaubte Rungford. »Sie sollten mir lieber sagen, wie Sie das bewerkstelligt haben. Das ist eine Sicherheitslücke, die wir schnellstmöglich schließen müssen. Da könnte ja jeder kommen …«
»Ich weiß nicht, worüber wir hier sprechen.« Ferland sah von einem zum anderen. »Klärt mich auf, damit ich mich mit aufregen kann.«
»Das ist kein Spaß, Ferland!«, brüllte sein Vorgesetzter. »Ich lasse dir schon einen sehr langen Zügel, aber du kannst nicht tun und lassen, was du willst, nur weil … weil …« Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.
Vergaloppiert, dachte Ferland. »Nur weil was?«
Graziano ließ die Frage unbeantwortet, doch Ferland wusste sowieso, was sein Chef hatte sagen wollen: Weil du sowieso bald stirbst …
Rungford war offensichtlich entweder nicht über seinen Zustand im Bilde, oder sie hatte weniger Hemmungen als der Lieutenant. Sie holte tief Luft: »Es
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