Dr. Bill Brockton - 04 - Todesstarre
räumte Sorensen ein. »Auch Ihre Augen sind gefährdet. Die Linse ist sehr empfindlich gegenüber ionisierender Strahlung, und wenn Sie das Pellet aus geringer Nähe betrachtet haben, könnten Sie in den nächsten Jahren grauen Star entwickeln.«
»Verkrüppelt und blind«, sagte Garcia. »Das wird ja immer besser. Was kommt als Nächstes? Aller guten Dinge sind doch drei, oder?«
»Ich fürchte, ja. Wegen der zusätzlichen Stunden im Leichenschauhaus waren Sie auch einer höheren Ganzkörperdosis ausgesetzt.«
»Wie viel höher?«
Sorensen zögerte. Kein gutes Zeichen. »Ihre Strahlendosis könnte irgendwo im Bereich von vier- bis fünfhundert Rad liegen.«
»Und wie lautet die Prognose für jemanden, der einer Strahlendosis von fünfhundert Rad ausgesetzt war?«
Wieder zögerte Sorensen. Noch ein schlechtes Zeichen. »Das geht bis zu LD-50«, sagte er.
Miranda schnappte nach Luft.
»Verzeihung«, sagte Emert. »Was bedeutet LD-50?«
Bevor Sorensen antworten konnte, ergriff Garcia das Wort. »Das bedeutet fünfzig Prozent«, sagte er leise. »LD steht für ›letale Dosis‹. Was Dr. Sorensen sehr taktvoll auszudrücken versucht, ist, dass ich zuerst wahrscheinlich meine Hände verliere und dass Gott dann eine Münze wirft, ob ich am Leben bleiben darf oder nicht.«
Er schaute zu Miranda und mir auf. »Würden Sie beide mir einen Gefallen tun? Würden Sie bitte zu mir nach Hause fahren und Carmen erklären, was passiert ist? Ich rufe sie an und sage ihr, dass ich aufgehalten wurde, aber ich möchte nicht, dass sie die Einzelheiten am Telefon erfährt. Ich will, dass dann jemand bei ihr ist.«
Miranda streckte ihm die Hand hin. Wieder war ihr Gesicht nass von Tränen, doch diesmal konnte sie sie nicht verbergen.
Sorensen und Davies ließen Garcia gleich nach oben in ein Krankenzimmer bringen. Emert, der in Oak Ridge lebte, vereinbarte, dass man ihm das Blut dort im Krankenhaus abnahm, damit er nicht mitten in der Nacht zurück nach Knoxville kommen musste. Miranda und ich konnten gehen, obwohl wir strenge Anweisung hatten, uns um sechs Uhr früh wieder einzufinden, damit man uns nach zwölf Stunden die nächste Blutprobe abnehmen konnte. Es würde eine lange, unruhige Nacht werden. Bevor wir zu Garcia nach Hause fuhren, um mit Carmen zu sprechen, machten wir noch einen Abstecher die Treppe hinunter ins rechtsmedizinische Institut. Das BETRETEN VERBOTEN-Schild hatte Verstärkung bekommen: gelb-schwarzes Absperrband, auf dem VORSICHT – BETRETEN VERBOTEN stand, sowie ein Schild mit magentaroten Keilen auf gelbem Hintergrund und den Worten RADIOAKTIVE STRAHLUNG – BETRETEN VERBOTEN.
»Klingt, als meinten sie es ernst«, sagte ich zu Miranda.
»Hält wahrscheinlich Hausierer und die Zeugen Jehovas ab«, frotzelte sie, doch ich merkte, dass sie nicht mit dem Herzen dabei war.
Just in diesem Augenblick kamen Duane Johnson und ein mir unbekannter Techniker im Mondanzug aus dem Aufzug. Sie karrten zwei rechteckige Metallplatten vor sich her, die etwa sechzig Zentimeter mal einen Meter maßen. Die Metallplatten schienen schwer zu sein, denn sie mussten sich mächtig dagegenstemmen, um sie vom Fleck zu kriegen. »Bleiabdeckungen«, keuchte Duane, als sie an uns vorbeikamen und auf die verschlossene Tür zum Leichenschauhaus zugingen. »Wollen Sie zuschauen?«
»Ich glaube, wir hatten genug Strahlung für einen Tag«, sagte ich.
»Oh, Sie müssen nicht«, sagte er. »Aber solange Sie hinter der Ecke bleiben, wo Sie heute Mittag auch waren, bekommen Sie keine zusätzliche Strahlung ab.« Ich sah Miranda an, und sie zuckte die Achseln. Neugier siegte über Vorsicht, und wir folgten Duane und dem Techniker, als sie die Bleiabdeckungen in Richtung Leichenschauhaus rollten.
Duane klopfte mehrmals an die Tür – dreimal schnell, dann dreimal langsam, dann wieder dreimal schnell –, und ich erkannte, dass dies das Notsignal des Morsealphabets war, SOS. Die Tür schwang nach innen auf, und Hank linste um die Ecke. Er betrachtete Miranda und mich eingehend und fragte: »Alles in Ordnung?«
»Wird sich zeigen«, sagte ich. »Detective Emert ist nach Oak Ridge zurückgefahren. Sie nehmen uns jetzt alle paar Stunden Blut ab, um unsere Strahlenbelastung zu errechnen. Dr. Garcia wurde eingewiesen, weil er die höchste Strahlendosis abbekommen hat, vier- bis fünfhundert Rad.«
Hanks entsetzte Miene verriet, dass er wusste, wie prekär Garcias Lage war. Grimmig schüttelte er den Kopf und wandte sich dann
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