DrachenKind: Gegen die Finsternis (German Edition)
tauchten unter tief hängenden, duftenden Tannenästen hindurch und zählten die Fledermäuse, welche sich jetzt vermehrt aus ihren Verstecken wagten um zu jagen. Eric hörte sie, wie sie ihren Ultraschall benutzten um sich zurechtzufinden und es war ihm ein wenig unheimlich, dass er sie hören konnte. Als sie sich an der letzten Baumgruppe vorbei geschlichen hatten, tauchte der See vor ihnen auf wie ein großer, glänzender Spiegel mit kleinen Wellen darauf. Die fast untergegangene Sonne und der aufgehende Mond spiegelten sich auf dem Wasser, die langen Schilfrohre wiegten sich ruhig und im Takt bei jeder warmen Windbrise. Mia stellte ihre Tasche ab und setzte sich auf den Boden. Wortlos taten Eric und Jack es ihr gleich. Jetzt saßen sie in einem kleinen Dreieck, jeder sah abwechselnd den einen, dann den anderen an.
„Das Erste, was ich dir zeigen will, ist die Meditation. Ich denke, dass du nicht lange brauchen wirst um es zu erlernen, da Konzentration der Schlüssel dazu ist. Und wer willensstark ist, der wird da nicht so viele Probleme haben. Jack kann es schon, er kann sich ja ein wenig ausruhen. Danach will ich, und ich werde dich nicht darum bitten, dass du lernst, Dinge mit deinen Gedanken zu bewegen. Das Türschloss in an der Duschkabine war schon nicht schlecht, aber du solltest noch weiter gehen. Es könnte dir vielleicht einmal das Leben retten, wer weiß. Du kannst dich auch hinlegen, wenn du magst. Dann konzentriere dich auf irgendetwas, du wirst dir sicher etwas Gutes aussuchen, und überlasse deine Gedanken der Ungewissheit. Lasse sie einfach treiben, halte sie nicht fest. Stelle dir deine Gedanken wie den Wind vor, der nie stehen bleibt, überall ist und doch gar nicht existiert. Dann erreichst du einen Zustand der Leere, vollkommener innerlicher Ruhe. Das ist die Voraussetzung dafür, dass du Dinge bewegen kannst, ohne sie zu berühren. Als Allerletztes will ich dich mit den Elementen vertraut machen, die du beherrschst. Ich nehme an, du weißt es nicht, aber du bist Herr über sie, wenn du dich mit ihnen verbündest. Aber dazu später mehr. Jetzt lerne und übe, wenn du nichts mehr denkst und wenn alle Gedanken sich verflüchtigt haben, dann sag Bescheid.“
Mia lächelte ihn an, Jack legte sich hin. Sie holte eine Wolldecke aus ihrer Tasche und warf sie den beiden hin. Eric legte sich neben seinen Freund und deckte sie beide zu. Er lag auf dem Rücken im weichen, trockenen Moos, sah durch ein paar vereinzelte Äste die ersten Sterne aufglimmen und hörte gespannt den Schritten eines Käfers zu, welcher direkt neben seinem linken Ohr durch das Moos wanderte. Dann schloss er seine Augen und tat das, was er immer tat, wenn er träumte: Er überließ sich seinen Gedanken, ließ sie ziehen, wo immer sie hin wollten. Er stellte sich seine Gedanken wie die Wolken am Himmel vor, manchmal ruhig, manchmal turbulent, hell oder dunkel und immer in Bewegung. Nach einiger Zeit, er wusste nicht, wie lange, wurde sein einst wolkenverhangener Himmel vollkommen blau, nicht ein Wölkchen war mehr zu sehen. Er hatte fast das Gefühl, nichts mehr in sich zu haben, nie einen Gedanken entwickelt oder einen Sinneseindruck gehabt zu haben. Es war wie ein leeres Blatt schneeweißen Papieres, das neu beschrieben werden sollte. Er öffnete die Augen.
„Bin soweit“, sagte er leise, und Mia antwortete:
„Ich habe hier einen Stein, er wiegt in etwa ein Kilo. Wenn du den bewegen und ihn einen Meter über dem Boden schweben lassen kannst, darfst du mich wecken.“
Eric sah den Stein nicht an. Er glaubte Mia einfach. Seine Gedanken löschten sich wie von selbst, sobald er sie gedacht hatte. In seinem Bewusstsein war nichts mehr von einem normalen Leben übrig geblieben. Er konnte von vorn anfangen, wenn er wollte. Oder nur die Gedanken zurückholen, die er gebrauchen konnte. Er fühlte die Masse des Steins. Es musste ein Glatter Stein sein, er roch nach Süßwasser und das hieß, dass er vielleicht aus einem Fluss oder einem See stammte und dass das Wasser ihn vielleicht hatte glatt werden lassen. Er wusste nicht ob er es zu wissen glaubte. Er hing einfach zwischen zwei Zuständen, der völligen Gedankenlosigkeit und dem Leben. Beides war doch sehr weit voneinander entfernt, so dass sich der Stein, den er spürte ohne an ihn zu denken, weder in die eine noch in die andere Richtung bewegte. Es hing also von seiner Entscheidung ab, ob er die Welt mit den Augen eines Menschen, oder mit jenen eines besonderen Menschen sah.
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