Drachenlord-Saga 02 - Drachenherz
knirschte mit den Zähnen. Wenn sie es nur wagen würde, selbst zur Wiese zu fliegen …
Die Singvögel hatten ihr Lied angestimmt, als sich Shei-Luin wieder dem Hauptgarten näherte. Wie immer erschütterte die unglaubliche Reinheit ihrer Stimmen sie mit ihrer Schönheit. Sie hielt inne, um zu lauschen. Selbst Xahnu wirkte wie gebannt, denn er hörte auf, sich unruhig in ihren Armen zu winden, und lauschte, als die Melodie verklang und Zyuzin das Juwel ein Liebeslied anstimmte.
Sie schaute über die Schulter, als sie hörte, wie jemand plötzlich nach Luft schnappte. Murohshei stand wie angewurzelt da, und in seiner Miene spiegelte sich eine Sehnsucht, die sie dort nie zuvor entdeckt hatte. Es verblüffte sie, und einen Augenblick lang bedauerte sie, ihn stören zu müssen. Aber sowohl ihr als auch sein Leben standen auf dem Spiel, und darüber hinaus das von Yesuin und – noch wichtiger – das ihres Sohnes. Sie würde alles tun, um Xahnu zu schützen. Alles.
Sie winkte Murohshei zu sich. Er kam zu ihr, und sie legte ihm Xahnu in die Arme, als wäre sie müde. Als sie sich vorbeugte, flüsterte sie: »Diese Botschaft von Jhanun – die, mit der er mich hinters Licht führen wollte –, bring sie weg aus meinem Zimmer und in einen Geheimgang, wenn du …«
Ein grölendes Lachen aus einem nahe gelegenen Pfirsichhain unterbrach sie.
Shei-Luin schloß die Augen. Nicht schon wieder Xiane!
Schmerz brachte Maurynna in die Welt zurück, ein heftiges Brennen in den Rückenmuskeln. Was ist das? dachte sie trübe, nicht imstande, den Grund zu verstehen. Aber obwohl es weh tat, hieß sie den Schmerz willkommen. Denn er beendete sowohl die Qual, die sie bis in die Knochen durchdrungen hatte, als auch den tödlichen Klammergriff um ihre Lungen.
Sie stöhnte und öffnete die Augen. Morien und Boreal, die nun aufrecht standen, spähten auf sie hinab, ihre Köpfe Silhouetten vor dem blauen Himmel. Sie setzte sich langsam aufrecht und fragte sich, ob ihr Kopf wohl tatsächlich bersten würde. Zumindest saß sie aufrecht, zusammengezogen und zitternd, aber sie saß.
Die Flut von Schmerzen in ihrem Kopf verebbte. Boreal beschnupperte sie unruhig.
„Kleine Verwandte, geht es dir gut?“ fragte Morien sanft.
Seine Gedankenstimme tat dennoch weh; selbst Maurynnas Gedanken waren zerschlagen. Aber es gelang ihr zu sagen: »Ich denke schon. Aber was …?«
„Ich glaube, Kyrissaean wollte nicht mit mir sprechen“, meinte Morien trocken.
Maurynna lehnte sich gegen eins von Boreais kräftigen Vorderbeinen und lachte trotz des Schmerzes leise. »So sieht es aus, Herr.«
„Achtung!“ rief Galinis. „Schaut zum Himmel“
Maurynna blickte gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie eine rote Gestalt wie ein Blitz vom Himmel schoß. Sie hatte Linden erst zweimal in Drachengestalt erblickt – sie nahm an, daß er sich aus Rücksichtnahme nicht verwandelte –, aber sie erkannte ihn sofort.
Vor Zorn brüllend glitt Linden tief über die Gruppe von Echtdrachen. Er landete, Rauch stieg aus seinen Nüstern auf, und er fletschte die langen Reißzähne zum Kampf. Zu ihrem Entsetzen bemerkte Maurynna, daß er an einer Flügelspitze eine blutige Wunde hatte. Blut tropfte qualmend auf Gras, das auf der Stelle verwelkte. In Lindens Augen lag ein wahnsinniges Glimmen.
»Linden, nein! Bitte!« rief Maurynna, und die Angst ließ ihr Herz beinahe stillstehen. Er kann mich nicht hören, erkannte sie entsetzt. Aber wenn sie versuchte, in Gedanken zu ihm zu sprechen, ließ sie der stechende Kopfschmerz beinahe wieder umfallen. Sie konnte Linden nicht erreichen.
Der rote Drache griff Morien an. Die vier kleineren Echtdrachen stapften vorwärts, um sich Linden zu stellen, bereit zum Kampf.
»Morien! Halte sie auf!« schrie Maurynna.
Das Dröhnen von Feuer in sechs Drachenkehlen erfüllte die Luft, als sich die großen Ungeheuer zum Kampf vorbereiteten. Niemand hörte sie.
»Die Götter mögen ihm beistehen«, flüsterte Maurynna, »denn sonst hat er keine Chance.«
Es war tatsächlich Xiane, der aus dem Pfirsichhain kam, und seiner Miene nach zu schließen, hatte er nur eines im Sinn. Ihr wurde übel, noch während sie niederkniete.
»Kostbare Blüte!« rief er und stolzierte auf sie zu. Sein Lächeln war strahlend und zeigte die langen, weißen Zähne, die denen eines Pferdes nicht unähnlich waren. »Ich habe dich gefunden -jetzt mußt du dich ergeben!«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ergeben, Herr? Es ist mir ein Vergnügen!«
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