Drachenlord-Saga 03 - Das Lied des Phönix
einen Augenblick, bevor sie merkte, daß etwas mit dieser Wasserpflanze nicht stimmte; als sie es endlich begriff, setzte sie sich gerade auf und griff nach dem Dolch an ihrem Gürtel.
Die Strömung in diesem kleinen Seitenarm war nicht stark, aber kräftig genug. Ganz bestimmt kräftig genug, um alles in eine einzige Richtung fließen zu lassen: stromabwärts. Diese Pflanze, oder was immer es sein mochte, bewegte sich gegen die Strömung. Plötzlich, als hätte sie die Veränderung bemerkt, verschwand die Ranke. Maurynna sprang auf. Das Wasser geriet eine Speerlänge vom Ufer entfernt ins Kochen. Maurynna taumelte rückwärts, nahm den Blick nicht von der Wasseroberfläche, setzte ihre Füße aber falsch auf das steinige Ufer und blieb stolpernd stehen.
Ein großer Kopf hob sich aus dem Wasser und wuchs höher und höher. Maurynna riß den Mund auf, um nach Raven zu schreien.
*Hab keine Angst*, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Zwischen den Worten hörte sie das Rauschen eines Flusses und das vergnügte Gluckern eines Bergbaches über Felsen. *Ich werde dir nichts tun.*
Verblüfft begriff Maurynna, daß sie einem Drachen gegenüberstand. Aber er war anders als jeder Drache, von dem sie je gehört oder den sie je gesehen hatte. Sie schloß den Mund und betrachtete ihn so neugierig wie er sie.
Er war blau und grün wie sie selbst in Drachengestalt – etwas, was Maurynna ein Gefühl von Verwandtschaft gab. Aber wo ihre Farben dunkel und schimmernd waren wie die Federn eines Pfaus (das hatte man ihr zumindest gesagt, sie hatte wenig Erinnerung an ihren Flug; selbstverständlich hatte zu diesem Zeitpunkt Kyrissaean sie beherrscht), hatte dieser Drache Schuppen in Türkistönen, die mit Schwarz eingefaßt waren.
Auf jeder Seite seiner breiten Schnauze wuchs ein großer Fühler, und es gab zahllose seidige Barten, die aussahen wie Wasserpflanzen, die um sein Gesicht und über Hals und Rücken wuchsen.
Aber das war unmöglich! Dann bemerkte sie, daß der Drache zwar kurze Beine hatte, aber keine Flügel. Sie war tatsächlich nicht sicher, wo sein Hals zu Ende war; sein Körper war lang und schmal wie der einer Schlange oder …
Ein Aal. Ihr Götter, er ist ein Wasserdrache.
*Ja*, sagte er. *Das bin ich. Ich lebe in den Flüssen und Seen dieses Landes, aber was, sag mir bitte, bist du?*
Maurynna fragte: »Wie meinst du das?«
*Ich bin dir und den anderen jetzt seit einiger Zeit gefolgt -schon bevor ihr euch voneinander getrennt habt. Ich spüre, daß der, der dich jetzt begleitet, ein Mensch ist, wie es auch Menschen in diesem Land gibt. Aber deine anderen Begleiter, jene, die jetzt nicht hier sind – sie fühlten sich an, als wären sie sowohl Drache als auch Mensch. Ist so etwas möglich?* Seine Gedankenstimme war schrill vor Aufregung.
Er war auch, wie Maurynna jetzt sah, als sie näher hinschaute, nicht so groß, wie die Überraschung ihn hatte wirken lassen. Ihr kam ein Verdacht.
Sie glaubte nun zu wissen, wer sie die ganze Zeit beobachtet hatte. Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr der Wasserdrache fort: *Aber dich – dich spüre ich überhaupt nicht. Es ist, als bewegtest du dich in einem Nebel. Ich sehe dich vor mir, aber in meinem Geist kann ich dich nicht spüren. Ich habe einen Freund wie dich.* Er wartete, Fühler und Barten bebend, auf eine Antwort.
Ein anderer Wasserdrache, aber einer, der Maurynnas seltsame »Unsichtbarkeit« teilte? Bedächtig sagte sie: »Einige meiner Freunde sind tatsächlich das, was wir als Echtmenschen bezeichnen. Und andere von uns – ich eingeschlossen – sind in unserem Land als Drachenlords bekannt.«
*Drachenlords?* fragte der Wasserdrache.
Maurynna nickte. »Ja. Wir sind Werdrachen.«
Der Wasserdrache erhob sich ein wenig höher und sackte unter Platschen wieder ins Wasser. *Es ist also wahr, was die fremden Drachen meinen Eltern erzählt haben!* Er tanzte aufgeregt wie ein Welpe im seichten Wasser.
Maurynna wich zurück, als eine kleine Welle drohte, ihr über die Füße zu spritzen. Dann begriff sie, was der Wasserdrache gesagt hatte. Sprach er vielleicht von Pirakos? Einen Augenblick – er hatte von »Drachen« gesprochen, hatte er auch Dharm Varleran gemeint? »Die fremden Drachen?«
*Ja. Einmal erschienen zwei fremde Drachen am See meiner Eltern. Ich war immer noch im Ei. Meine Eltern, die mir die Geschichte später erzählten, begrüßten sie staunend, denn sie hatten nie Drachen mit Flügeln wie Vögel gesehen.*
Maurynna dachte bei sich: Das ist
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