Drachenschwester 02 - Eltanins Verrat
herausbekommen. Meine Nachforschungen sind aber noch nicht beendet. Ich habe Grund zu der Annahme, dass sich der Drakonianer, Fabio Szilard heißt er übrigens, immer noch hier in Benevent aufhält.«
Sofia erstarrte. Stück für Stück setzten sich die Teile zu einem Bild zusammen, und immer deutlicher erinnerte sie sich an den Kampf. Es entstand ein kurzes Schweigen, das sie schließlich brach.
»Ich habe euch eine ganze Menge zu erzählen.«
Zunächst berichtete sie von ihrem Traum, wobei auch Lidja ihren eigenen erzählte. Als Sofia den beiden dann alles darlegte, was sie zu dem Nussbaum herausgefunden hatte, schien sich die Miene des Professors aufzuhellen.
»Erinnert dich das an etwas?«, fragte ihn Sofia.
»Ja, an eine Sage«, antwortete er. »Die Sage von einem Baum und einem mutigen jungen Mädchen.« Er holte Luft. »Zu der Zeit, als Drakonien noch auf der Erde lag und der Weltenbaum prächtig gedieh, gab es fünf Hüter, wie mich, also genauso viele wie die Drachen, die den Baum beschützten. Im Krieg gegen die Lindwürmer sind zwei Hüter gefallen, und so waren es nur noch drei, darunter auch ein Mädchen. Von Generation zu Generation wanderten ihre Seelen weiter, wobei sie alles vergaßen, aber doch immer bereit waren, aufzuwachen und ihrer Aufgabe nachzukommen, wenn Nidhoggr erstarken würde. Und so geschah es dann auch, und zwar bei mir.
»Das heißt also, es müsste noch zwei weitere Hüter irgendwo auf der Erde geben?«, rief Lidja überrascht.
»Nein, eigentlich nur einer. Ich habe auch nach ihm gesucht, ihn aber nie gefunden. Während das Mädchen, von dem ich sprach, vor Jahrhunderten starb.«
Der Professor schwieg einen Moment und rückte sich die Brille auf der Nase zurecht. Das machte er häufig, und Sofia freute sich, diese vertraute Geste wiederzusehen, weil sie sich nach Zuhause anfühlte und zu den Dingen gehörte, die ihr in den vergangenen Wochen so gefehlt hatten.
»Dieses Mädchen hieß Idhunn«, fuhr der Professor jetzt fort, »und es besaß einen Überrest des Weltenbaums, über dessen Beschaffenheit Unklarheit herrscht. Ihr müsst immer bedenken, dass das, was ich euch hier erzähle, eine Sage ist. Und bei Sagen gibt es immer verschiedene Versionen und viele Ungenauigkeiten. Aber das Mädchen, von dem ich euch berichten will, hat tatsächlich gelebt. Jedenfalls besaß sie diesen Teil des Weltenbaums. Den pflanzte es ein, und ein neuer Baum wuchs daraus.«
»Ein neuer Weltenbaum etwa?«, unterbrach Lidja ihn.
»Nein, natürlich nicht. Andernfalls bräuchten wir ja nur unseren Ast mit der Knospe einzupflanzen, um einen Weltenbaum zu ziehen, und alle Probleme wären gelöst. Dennoch muss der Baum, der daraus wuchs, etwas Besonderes gewesen sein und über außergewöhnliche Eigenschaften verfügt haben. Angeblich verlor er nie seine Blätter und trug das ganze Jahr über Früchte. Es wird berichtet, dass dieser im Mittelpunkt eines Kultes stand, den spezielle Priesterinnen zelebrierten. Idhunn war die höchste Priesterin. Sie wusste nichts mehr von ihrer Herkunft und von Drakonien, und alles, was sich in ihr von ihrer Vergangenheit erhalten hatte, war der Instinkt, den Baum zu beschützen. Irgendwann jedoch kam dann dieser Kult in Verruf, und die Priesterinnen galten fortan als Hexen, die verfolgt und gejagt wurden.«
Der Professor schwieg.
»Und was geschah dann? Was wurde aus dem Baum, und aus den Priesterinnen?«, fragte Lidja.
»Darüber gibt die Sage keine Auskunft. Weder über die Priesterinnen, noch über den Baum.«
»Ob es sich dabei um den sagenhaften Nussbaum von Benevent handelt?«
»Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Zudem erklärt Lidjas Traum noch etwas ganz eindeutig: Die jungen Frauen, die man als Hexen gebrandmarkt hat, waren in Wirklichkeit die Priesterinnen dieses Kultes, und in dem sagenhaften Nussbaum steckte ein Überrest, eine Reliquie, des Weltenbaums. Außerdem, achtet mal genau drauf, scheinen alle Spuren nach Benevent zu führen. Meine Nachforschungen haben mich hierher gebracht, Nidhoggr ist hier aufgetaucht, und auch euch beide hat es nach Benevent verschlagen.«
»Dann ist die Reliquie vielleicht die Frucht?«, fragte Sofia leise. Ihr war, als hielte Lidja den Atem an.
»Das ist möglich.«
Das Schweigen, das nun folgte, schien endlos zu dauern.
»Und Idhunn, was ist aus ihr geworden?«
»Der Sage nach starb sie zur Zeit der Hexenjagd.«
Plötzlich fiel Sofia die alte Frau ein, ihr eigenartiges Gehabe und die Worte, die sie zu
Weitere Kostenlose Bücher