Drachensturm
länger schlafen lassen, denn wir wissen ja, wie schnell du bist.«
Kemaq verstand die Bemerkung nicht und murmelte: » Danke, Herr.«
» Du hast deiner Familie Ehre gemacht, Chaski. Es scheint, dass der Segen Intis auf euch ruht. Deshalb haben wir deinen Bruder ausgewählt, die Krieger anzuführen.«
» Welche Krieger, Herr?«
» Sie sind schon am Abend aufgebrochen. Ich nehme an, du wirst sie am Fluss treffen. Sie werden sich dort in der Nähe des zerstörten Chaskiwasi verstecken, von dem du gesprochen hast. Von dort wirst du sie in die Stadt führen.«
Kemaq glotzte den Hohepriester ungläubig an. » Nach Chan Chan, Herr?«
» Du bist der Einzige unserer Läufer, der zurückgekehrt ist, Chaski, und wenn dein Bericht wahr ist – und das ist er doch, nicht wahr? Wenn also dein Bericht wahr ist, kennst du einen heimlichen Weg in die Festung des Feindes. Den wirst du den Kriegern zeigen.«
» In die Festung, Herr?« Kemaq konnte seine Besorgnis kaum verbergen.
» Sie haben dort einen wichtigen Auftrag zu erledigen. Du wirst ihnen den Weg weisen und ihnen auch sonst auf jedwede Weise zu Diensten sein.«
Kemaq presste ein weiteres » Ja, Herr« heraus.
» Gut, Chaski, dann eile«, sagte Huaxamac und wandte sich ab.
Kemaq hätte beinahe vergessen, sich zu verbeugen. Sein Bruder musste ihn fast hinausschleifen. » Es ist eine große Ehre, das ist dir hoffentlich bewusst, Kemaq«, flüsterte Qupay aufgeregt.
» Weißt du, was für ein besonderer Auftrag das ist, Bruder?«, fragte Kemaq, immer noch wie vor den Kopf gestoßen. Er musste nicht nur zurück in die Festung der Götter, er sollte auch noch seinen Bruder dort hineinführen!
Qupay schüttelte den Kopf. » Ich dürfte es dir wohl nicht sagen, auch wenn ich es wüsste. Ich habe aber auch andere Dinge zu besorgen, denn Huaxamac ließ mir die Ehre zuteilwerden, ein großes Opfer vorzubereiten. Du siehst, unsere Familie ist in der Gunst des Tempels sehr gestiegen.«
» Was für ein Opfer?«, fragte Kemaq.
» Du wirst es selbst sehen, wenn ihr zurückkehrt. Doch musst du dich beeilen. Es hängt viel von dir ab.«
Kemaq war müde, und er verstand nicht, was sein Bruder meinte.
» Du bist der Einzige, der Jatunaq den Weg zeigen kann. Wenn du denn endlich aufbrichst«, fügte Qupay tadelnd hinzu.
» Wie viele Krieger hat unser Bruder?«, fragte Kemaq niedergeschlagen.
» Ein Dutzend der tapfersten Krieger von Tikalaq. Aber jetzt eile, sonst müssen sie den Weg ohne dich suchen.«
» Den Weg …«, echote Kemaq. Allmählich begriff sein müder Geist, was da von ihm verlangt wurde: Er sollte die Männer nach Chan Chan hinein- und auch wieder herausbringen! Letzteres war noch schwieriger als Ersteres, und eigentlich erschien ihm beides unmöglich. Die Stadt war in der Hand feindlich gesinnter Götter, begriff das denn hier niemand? Im Augenblick fragte er sich außerdem, ob er sich nicht vorher schon den Hals brechen würde. Wütend fuhr er seinen Bruder an: » Hast du eine Vorstellung, wie ich sie einholen soll, bei Nacht, auf dem Pfad, der niemals nachts gelaufen wird, weil er zu gefährlich ist?«
Qupay sah ihn mit offenbar echtem Erstaunen an: » Aber du bist den Weg doch allein heute und gestern schon zweimal gelaufen, und vorher viele Male auch«, rief er. » Und Inti wird dich schützen. Du hast Huaxamac gehört, der Segen des Sonnengottes ruht auf dir!«
Kemaq öffnete den Mund, um zu fragen, wie ihm der Sonnengott denn des Nachts helfen wolle, aber er sah ein, dass es sinnlos war. Er drehte sich wortlos um und machte sich auf den Weg.
Es brodelte in ihm: Qupay war so dumm! Er brachte ihn nun schon zum zweiten Mal in Gefahr. Und diesmal nicht nur ihn, sondern auch ihren Bruder Jatunaq. Er tastete nach dem Paket in seiner Tasche, öffnete es, nahm ein Stück Kuka-Brei und schob es sich in den Mund. Wie hatte Pitumi das Päckchen so schnell nach Tikalaq schicken können? Und woher hatte sie gewusst, dass er es brauchen würde? War sie vielleicht doch mehr als nur eine Heilerin?
Kemaq trabte durch die stillen Straßen der Stadt. Die frische Luft tat gut. Auf den Plätzen waren Wachfeuer, an denen sich Krieger versammelt hatten. Offenbar bereiteten sie sich auf einen Kampf vor. Kemaq sah viele Krieger, aber es waren sicher noch keine tausend auf jeden Drachen, und selbst für den Fall, dass Huaxamac so viele Krieger aufbieten könnte, hatte die Tempeldienerin ihm doch von einem Kampf gegen die Götter abgeraten. Solange nicht Inti ein gutes
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