Drachentochter
auf die inzwischen geschlossene Tür von Lord Idos Schlafkammer. »Aber er würde doch nicht so dumm sein …«
Ryko zuckte die Achseln und führte uns zum linken Eingang. »Wir gehen kein Risiko ein. Die morgige Prüfung ist der Schlüssel zu allem. Wir werden dafür sorgen, dass Ihr bis dahin in Sicherheit seid, Mylord. Danach kommt es allein auf Euch an.«
Ich nickte erneut. Angst saß mir würgend in der Kehle, und es gab nur eines, was mich wieder freier würde atmen lassen. Ich trat in die sparsam möblierte Schlafkammer.
»Tee«, flüsterte ich und kramte nach dem Beutel mit dem Sonnenpulver.
Rilla folgte mir und schob die Tür zu. »Ja, Mylord.«
Es war beruhigend, durchs wachsgetränkte Pergament der Tür hindurch Rykos dunklen Umriss zu erkennen. Ich setzte mich aufs Bett und öffnete die Kordel des Beutels. Eine weitere Prise Sonnenpulver an diesem Abend würde mir jede Aussicht auf einen erholsamen Schlaf rauben. Ich lachte kurz auf; mit Lord Ido im Nachbarzimmer bestand ohnehin kaum eine Aussicht auf Schlaf.
17
Die langen Stunden der Schlaflosigkeit hatten mir die Augen fast ausgedörrt. Endlich sah ich durch das Fenster meiner Kammer den Tag des Königsmonsuns heraufziehen. Die Luftfeuchtigkeit war bereits so hoch, dass sie sich wie ein nasser, erhitzter Leib an mich zu drängen schien. Rilla bewegte sich am Fußende meiner Pritsche, sank dann aber wieder in den Schlaf.
Ich erhob mich vorsichtig aus dem Bett und goss mir einen Becher Wasser ein. Das Perlenende baumelte aus meinem Ärmel. Ich schob es in mein Nachtgewand zurück und schlang es wieder um meinen Unterarm. Die Perlen saßen von Tag zu Tag lockerer.
Behutsam zog ich den Beutel mit dem Sonnenpulver hervor. Die großzügige Portion sank als Klumpen ins kalte Wasser, tauchte wieder auf, zerstob und sank auf den Becherboden. In heißem Tee hätte sie sich aufgelöst, doch Rilla hatte mir am Abend nachdrücklich zu verstehen gegeben, wie sehr sie dagegen war, dass ich das Sonnenpulver nahm, und ich wollte sie nicht wecken, damit sie mich nicht noch mehr davon nehmen sah. Bestimmt hatte Ryko ihr von den Gefahren des Pulvers erzählt und sie gebeten, ihm zu berichten, wie viel ich nahm.
Ich stürzte die graue Mischung auf einen bitteren Zug hinunter, schlich zur Tür und schob sie auf. Ryko spähte mir mit schweren Lidern und abgespanntem Gesicht entgegen.
»Alles in Ordnung?«, fragte er leise.
»Ja.« Ich trat in den Hof. »Aber es ist so heiß. Ich möchte im Garten sitzen.«
Ryko ließ seinen Blick durch den Hof wandern und nickte. Ich hatte mich gerade auf die Bank gesetzt, als ein staubbedeckter Bote schlurfend vor Müdigkeit aus dem Durchgang kam. Einer von Rykos Männern begleitete ihn.
»Sir«, sagte der Wächter zu seinem Hauptmann, »dieser Mann behauptet, er habe eine Nachricht für Lord Ido.«
»Der ist noch nicht aufgestanden«, erwiderte Ryko.
Die pergamentbespannte Tür zu Idos Zimmer öffnete sich. Der erschöpfte Bote zuckte zusammen und schwankte. Ein Diener kam herausgelaufen, verbeugte sich vor mir und wandte sich dann an den Boten.
»Lord Ido wird Euch in seinem Zimmer empfangen«, sagte er. »Kommt.«
Der Bote verbeugte sich vor mir und folgte dem Diener halb laufend, halb stolpernd in Idos Schlafgemach. Sofort tauchte ein zweiter Diener auf, schloss die Tür hinter den beiden und pflanzte sich mit verschränkten Armen und wachsamen Augen vor dem Eingang auf.
»Dieser Bote war sehr schnell und ohne Pause unterwegs«, stellte Ryko fest.
»Er ist geritten«, sagte der Mann, der ihn in den Hof geführt hatte. »Auf einem schnellen Pferd.«
Ryko nickte. »Gut gemacht. Geh wieder auf deinen Posten.«
Der Mann salutierte und verließ den Hof durch den Gang. Ryko stand reglos und schweigend da. Gewiss lauschte er genau wie ich auf ein Geräusch aus Idos Kammer. Doch außer dem morgendlichen Vogelgezwitscher und dem fernen Rollen des Monsundonners war nichts zu hören.
Ich überflog die Reihen von Männern, die um den Platz herum knieten und im Chor für unseren Erfolg beteten. Wo war Ryko? Er war kurz vor Mittag gegangen, um mehr über Idos Boten herauszufinden, hatte aber versprochen, vor Beginn der Prüfung zurück zu sein. Ich wandte meine Aufmerksamkeit den beisammen stehenden Lehrlingen zu, die mit Essen und Trinken in der Nähe warteten, falls ihre Meister Hunger oder Durst bekommen sollten. Dillon stand ein wenig von den Übrigen entfernt, und Hollin beruhigte die jüngeren Lehrlinge, aber
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