Dracula, my love - das geheime Tagebuch der Mina Harker
und Sie haben mir in Ihrem eigenen Brief auch nicht viel mitgeteilt.
Ist es wahr, dass Sie eine Art Nervenzusammenbruch hatten?«
»Das stimmt, Sir.«
Herr Hawkins schüttelte den Kopf und schien äußerst bestürzt. »Ich bin ratlos. Ich kenne Sie schon Ihr ganzes Leben lang,
Jonathan. Sie sind ein starker, vernünftiger junger Mann. Im Angesicht von Schwierigkeiten haben Sie stets einen klaren Kopf
behalten. Sie sind nicht die Art von Mensch, der Zusammenbrüche erleidet. Was ist nur mit Ihnen dort drüben geschehen?«
Jonathan zögerte, und sein Gesicht verzog sich schmerzlich. »Ich möchte lieber nicht darüber sprechen, Sir.«
Ich ergriff seine Hand und drückte sie, hoffte ihn damit wortlos meiner Zuneigung und Unterstützung zu versichern.
Herr Hawkins lehnte sich auf seiner Bank vor, die Hände |134| auf den Spazierstock gestützt. »Mein Sohn, Sie sind in meinem Auftrag geschäftlich ins Ausland gereist. Wäre ich bei besserer
Gesundheit gewesen, hätte ich die Reise selbst unternommen. Ich fühle mich verantwortlich dafür. Graf Dracula hat mir einen
sehr freundlichen Brief geschrieben, in dem er zum Ausdruck brachte, wie zufrieden er mit den von uns in seinem Namen getroffenen
Abmachungen sei, und in dem er Sie und Ihre Darlegung der Fakten lobt. Er schrieb nichts davon, dass Sie krank waren. Gar
nichts. Im Gegenteil, er …«
»Bitte, sprechen Sie nie wieder davon!«, platzte Jonathan heraus und entriss mir mit wildem, verwirrtem Blick seine Hand.
»Es tut mir leid, Sir, wenn Sie das Gefühl haben, dass ich Sie enttäuscht habe. Entlassen Sie mich, wenn das Ihr Wunsch ist.
Ich würde Ihnen deswegen keine Vorhaltungen machen. Aber ich habe einen langen, schweren Kampf hinter mir, um wieder gesund
zu werden, und ich kann es nicht über mich bringen, noch einmal an die Quelle all meiner Leiden zurückzugehen. Ich kann es
nicht!«
Herrn Hawkins’ Gesicht verdunkelte sich. »Verzeihen Sie mir. Ich frage Sie nie wieder danach, mein Sohn.« Er sank schwer gegen
die Lehne der Bank zurück und verfiel für den größten Teil der Fahrt in trauriges Schweigen.
Jonathan und ich hatten erwartet, die ersten Monate unserer Ehe in der kleinen Wohnung zu verbringen, in der er während seiner
sechsjährigen Ausbildung in Exeter gelebt hatte. Danach hofften wir, in eine größere, wenn auch immer noch bescheidene Unterkunft
umzuziehen, die unserem Einkommen entsprach. Das Schicksal hielt jedoch etwas völlig anderes für uns bereit.
»Ich würde niemals in Erwägung ziehen, Sie und Mina in diesen beiden dunklen, deprimierenden Zimmern wohnen zu lassen, Jonathan«,
sagte Herr Hawkins, als die Kutsche vor seinem Haus vorfuhr. »Ihr seid jetzt ein Ehepaar. Ihr müsst hier bei mir wohnen.«
|135| Herr Hawkins besaß ein großes, altes und sehr schönes dreistöckiges Haus an einer von Bäumen beschatteten Straße unweit der
Kathedrale. Das Haus hatte einen weitläufigen, lichtdurchfluteten Salon, eine mit Eichenholz getäfelte Bibliothek, eine geräumige
und gut ausgestattete Küche, ein Wohnzimmer in jedem Stockwerk und eine große Anzahl von Schlafzimmern. Jeder dieser unzähligen
Räume war liebevoll und mit hervorragendem Geschmack eingerichtet. Ich war mit dem Gebäude vertraut, da ich hier am vorhergegangenen
Weihnachtsfest eine Woche als Gast von Herrn Hawkins verbracht hatte, als Jonathan und ich uns gerade verlobt hatten.
Jetzt hatte Herr Hawkins im ersten Stock eine Zimmerflucht für uns vorbereiten lassen. Als Jonathan und ich unsere Koffer
auspackten, stellten wir fest, dass unser großzügiger Gastgeber fürsorglich an viele kleine Dinge gedacht hatte. So stand
zum Beispiel auf unserem Wohnzimmertisch eine Vase mit Blumen, und er hatte eigens für uns zwei seidene Morgenröcke anfertigen
lassen.
Die Köchin hatte zu Ehren unserer Heimkehr ein köstliches Mahl bereitet. Wir drei verbrachten geschlagene zwei Stunden bei
Tisch. Es war wie in alten Zeiten, wenn Herr Hawkins Jonathan und seine Mutter im Waisenhaus in London oder nach ihrer Pensionierung
in ihrer kleinen Wohnung besucht hatte und wir uns zu einer ihrer wunderbaren Mahlzeiten um den Küchentisch versammelt hatten.
Als wir uns nach dem Essen bei einer guten Flasche Wein entspannten, erhob Herr Hawkins sein Glas und sagte: »Meine Lieben,
ich trinke auf euer Glück und Wohlergehen und gratuliere euch zu eurer Eheschließung. Möge euer Leben reich gesegnet sein!«
»Danke«, erwiderte
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