Dread Empire's Fall 01 - Der Fall des Imperiums
waren. Nur einer blieb still. Saavedra, der Sekretär des Kapitäns, sprach wenig, starrte mit gerunzelter Stirn seinen Teller an und kaute ernst und nachdenklich.
Martinez saß Kelly gegenüber. Die schlaksige Kadettin grinste immer noch breit, nachdem sie die Raketen zerstört hatte, und Martinez ging mit ihr, Rakete auf Rakete und Schuss auf Schuss, alles noch einmal durch. Erleichtert nach dem überstandenen Schrecken, zeichneten
sie die Flugbahnen mit den Händen in der Luft nach, redeten viel zu schnell und fielen sich gegenseitig ins Wort.
Ich lebe noch!, dachte Martinez. Erst jetzt konnte er sich über das Wunder freuen. Ich lebe noch!
»Ich hatte schon Angst, Sie würden den Schlüssel nicht benutzen, als ich ihn rüberwarf«, gestand er. »Ich fürchtete, Sie würden sich auf die Regeln berufen und sich weigern.«
»Wenn acht Raketen zu uns unterwegs sind?« Kelly lachte. »Ich beachte die Vorschriften so genau wie jeder andere, aber alles hat Grenzen.«
Wir leben noch! , dachte Martinez. Die Freude erfüllte ihn mit einem Prickeln, als hätte er Champagner getrunken.
Er fuhr mit Kelly im Aufzug zur Brücke zurück. »Danke«, sagte er. »Danke, dass Sie so gut mit mirzusammengearbeitet haben.«
»Gern geschehen«, sagte sie, und fügte mit etwas Verzögerung hinzu: »Mein Lord.«
Der Aufzug hielt an, Martinez stieg aus, dann zögerte er, als ihm eine Idee kam. »Ich will Ihnen nicht zu nahetreten«, sagte er, »aber hätten Sie vielleicht Lust, noch ein Deck weiterzufahren und unseren Sieg zu feiern?«
Eine Etage unter ihnen befanden sich die Freizeitkammern. Kelly sah ihn überrascht an. »Sind unsere Bäuche nicht etwas zu voll?«
»Sie können ja oben liegen«, erwiderte Martinez. »Dann müssen Sie mein Gewicht nicht ertragen.«
Sie lachte kurz und etwas ungläubig, und sah sich auf dem Flur um, als müsste für diese kleine Komödie gleich ein Publikum applaudieren. »Tja, Lord Leutnant«, erwiderte sie, »ich habe auf Zanshaa einen Freund, und anscheinend fliegt die Corona dorthin.«
»Ich verstehe.«
»Außerdem ist es keine gute Idee, sich mit einem höheren Offizier einzulassen.«
»Das ist klug«, stimmte er zu.
Sie erwiderte seinen Blick. Ihre dunklen Augen blitzten, und das breite Grinsen war wieder da. »Wissen Sie was? Zum Teufel mit alledem. Wir haben sowieso schon so ziemlich alle Regeln gebrochen.«
»Auch wieder wahr«, sagte Martinez.
Die berüchtigten Freizeitkammern, außerhalb wie innerhalb der Flotte das Ziel einer unendlichen Reihe von Witzen, waren nicht im lüsternen Geist eines Lochspringers der Flotte entstanden, sondern ein Ausdruck der Tatsache, dass die Großen Meister selbst in gewisser Weise verwirrt gewesen waren. Nach der Eroberung Terras hatten die Shaa über die vielfältigen Formen der Sexualität gestaunt und klugerweise nicht den Versuch unternommen, in irgendeiner Weise regulierend einzugreifen. Vielmehr hatten sie auf ihre unsentimentale praktische Weise darauf bestanden, lediglich die Konsequenzen zu mildern. Jede terranische Frau bekam irgendwann in ihrem vierzehnten Lebensjahr ein empfängnisverhütendes Implantat. Als junge Erwachsene, im Alter von zweiundzwanzig Jahren, konnte sie es
jederzeit wieder von einem Arzt entfernen lassen. Jüngere Frauen benötigten dagegen die Erlaubnis ihrer Eltern oder Erzieher. So sank die Zahl der unerwünschten Kinder auf ein erträgliches Maß.
Die Einstellung der Flotte zur Sexualität war, falls überhaupt möglich, noch pragmatischer als die der Shaa. Offiziell hieß es, der Flotte sei es egal, wer mit wem ins Bett ging, doch im Laufe der Jahrhunderte hatten sich gewisse Gepflogenheiten herausgebildet, an die sich jedes Crewmitglied zu halten hatte. Abteilungsleiter sollten keine Beziehungen zu ihren Untergebenen eingehen, weil die Gefahr bestand, dass sie Zwang ausübten oder ihre Lieblinge bevorzugten. Beziehungen zwischen Offizieren und Gemeinen waren ebenfalls verpönt, sofern die Betreffenden auf demselben Schiff dienten. Martinez’ Verhältnis mit Stabsfeldwebel Taen bewegte sich daher im Rahmen des Erlaubten. Beziehungen zwischen dem Kapitän und irgendeinem Besatzungsmitglied galten als Verstoß gegen die Sitten und Gebräuche und standen im Ruf, allen Beteiligten Unglück zu bringen.
Für die Offiziere gab es jedoch ein Hintertürchen, weil sie Diener beschäftigen durften, für die keinerlei Einschränkungen galten. Allerdings machten sie erheblich seltener davon Gebrauch, als man hätte
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