drei !!! Tanz der Hexen
Quelle. Sie warf einen letzten Blick auf das Foto, hauchte einen Kuss darauf und legte es vorsichtig ins Moos. Dann streifte sie ihre Schuhe ab und ging auf die Quelle zu.
Franzi wagte kaum zu blinzeln, um nur ja nichts zu verpassen. Was hatte die Hexe vor? Wollte sie schwimmen gehen? Mitten in der Nacht? Im eiskalten Quellwasser? Das war doch völlig verrückt! Oder wollte sich die Hexe etwa in der Quelle ertränken? Sollten sie besser eingreifen? Franzi wollte schon aufspringen, doch dann zögerte sie und beschloss, noch einen Moment zu warten.
Erst umspielte das Wasser nur die Knöchel der Hexe, dann ihre Knie. Der Rock ihres Kleides schwamm wie eine schwarze Rosenblüte auf der Wasseroberfläche. Schließlich versank sie ganz in der Quelle. An der Stelle, an der sie eben noch gestanden hatte, waren nur noch ein paar Blasen zu sehen, die langsam nach oben stiegen. Die Kerzen schaukelten sanft auf dem Wasser. Keine einzige war ausgegangen.
»Wir müssen was tun!«, wisperte Kim. »Sie ertrinkt!«
Aber da tauchte die Hexe schon wieder auf. Sie drehte sich auf den Rücken, ließ sich in die Mitte der Quelle treiben und schien völlig in den Anblick des sternenklaren Herbsthimmels versunken zu sein. Wie sie es so lange in dem kalten Wasser aushielt, war Franzi ein absolutes Rätsel.
Franzis Blick fiel auf das Foto, das direkt neben einem der Grablichter im Moos lag. »Ich schau mir mal das Foto an«, flüsterte sie Kim zu. »Bin gleich wieder da.«
Leise huschte sie zwischen den Fichten hindurch zur anderen Seite der Quelle. Die Hexe starrte immer noch in den Himmel und schien nichts zu bemerken. Franzi verließ die Deckung der Bäume und kroch über das weiche Moos zum Ufer. Sie griff nach dem Foto, drehte es um und schnappte nach Luft.
Auf dem Foto waren zwei Kinder. Ein Junge und ein Mädchen. Im flackernden Kerzenschein sahen ihre Gesichter beinahe lebendig aus. Waren das etwa Paul und Maike?
Doch dann sah Franzi, dass sie sich getäuscht hatte. Das Foto musste wesentlich älter sein. Die Farben waren schon ziemlich verblichen, und das Papier war ganz weich, so als hätte jemand das Foto oft und lange in den Händen gehalten. Die Kinder waren jünger als Paul und Maike und eindeutig Geschwister. Das Mädchen war vielleicht sechs. Es hatte lange, blonde Zöpfe und sah ernst in die Kamera. Den Jungen schätzte Franzi auf vier oder fünf. Er trug einen blauweißen Matrosenanzug und hatte runde, weiche Wangen und ebenfalls blonde Haare. Er sah aus wie ein kleiner Engel. Im Gegensatz zu seiner Schwester strahlte er wie ein Honigkuchenpferd. Franzi musste automatisch ebenfalls lächeln. Sie legte das Foto zurück ins Moos.
Wer waren diese Kinder? Warum trug die Hexe ihr Foto bei sich? Und wo steckten Paul und Maike? Was hatte die Hexe mit ihnen gemacht?
Auf der Suche
»Wieder nichts.« Holgers Stimme klang müde und enttäuscht.
Marie hätte ihn gerne getröstet, aber sie wusste nicht, wie. Die letzte Stunde hatten sie damit verbracht, systematisch die Lieblingsplätze der Zwillinge abzusuchen. Sie hatten mit dem Spielplatz im Dorf angefangen, waren dann zu Pauls bevorzugter Angelstelle am Bach gegangen und standen nun neben einem alten und ziemlich morschen Hochsitz am Waldrand. Eins hatten all diese Orte gemeinsam: Die Zwillinge waren nicht dort.
»Ich hätte schwören können, dass wir Paul und Maike diesmal finden. Der Hochsitz wird nicht mehr benutzt. Die Zwillinge haben sich oben eine Art Bude eingerichtet und verbringen manchmal ganze Tage hier.« Holger ließ mutlos die Schultern hängen.
Am liebsten hätte Marie seine Hand genommen, aber sie traute sich nicht. »Fällt dir sonst noch ein Ort ein, an dem wir suchen könnten?«, fragte sie stattdessen.
Holger schüttelte langsam den Kopf. »Der Hochsitz war meine letzte Hoffnung.« Er seufzte. »Wenn den Zwillingen etwas passiert ist …«
»Paul und Maike geht es bestimmt gut«, unterbrach ihn Marie. Sie versuchte, zuversichtlich zu klingen, obwohl auch sie allmählich den Mut verlor. Ihre Suchaktion war bisher völlig erfolglos gewesen. Sie hatten nicht einmal eine winzige Spur von den Zwillingen gefunden. Keine Fußabdrücke, keine Fahrradreifenspuren, keinen noch so kleinen Hinweis darauf, wohin die beiden verschwunden waren. Paul und Maike schienen sich einfach in Luft aufgelöst zu haben.
»Warum hab ich heute Nachmittag nicht mal nach ihnen geschaut? Vielleicht waren sie da noch irgendwo in der Nähe …« Holgers Stimme schwankte
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