Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Stimmt’s, Domenico? Die Spione im schwarzen Anzug mit einer Gardenie im Knopfloch sind eher eine Kinoerfindung. Von Leuten wie diesem Engländer, der Filme dreht, diesem Hitchcock, und anderen, die keine Ahnung haben.«
Vier Tage nach dem Gespräch im Café de Paris saß Max – in weißer Drillichhose und doppelreihigem marineblauem Blazer, mit Stock und Panamahut auf dem Stuhl neben sich – unter einem der Sonnenschirme von La Frégate an der Promenade des Anglais in Nizza und blinzelte geblendet ins flimmernde Licht über der Bucht. Rundum leuchteten die Gebäude weiß, rosa und cremefarben, und das Meer reflektierte die Sonne so gleißend, dass die zahlreichen Passanten, die auf der anderen Straßenseite die Promenade entlanggingen, im Gegenlicht wie eine Kolonne von Schemen wirkte.
Das Ende der Saison war noch kaum zu spüren. Die städtischen Straßenfeger kehrten mehr trockene Blätter zusammen, und die Landschaft nahm bei Tagesanbruch und bei Sonnenuntergang herbstliche Grau- und Perlmutttöne an. Jedoch hingen noch Apfelsinen an den Bäumen, der Mistral hielt den Himmel frei von Wolken und verlieh dem Meer eine indigoblaue Farbe, und die Straße zwischen den Hotels und dem steinigen Strand füllte sich jeden Tag mit Spaziergängern. Im Gegensatz zu anderen Küstenorten, wo die teuren Läden allmählich schlossen, die Strandbuden abgebaut wurden und die Markisen aus den Hotelparks verschwanden, war in Nizza den ganzen Winter über Saison. Trotz der Feriengäste, die seit dem Sieg der spanischen Volksfront den französischen Süden überschwemmten – eine halbe Million Arbeiter war in jenem Jahr in den Genuss verbilligter Zugfahrkarten gekommen –, gab es in der Stadt auch noch dieAlteingesessenen: gutsituierte Rentner, englische Ehepaare mit Hund, alte Damen, die die Spuren der Zeit mit breitkrempigen Hüten und Chantilly-Schleiern kaschierten, und russische Familien, die gezwungen waren, ihre luxuriösen Villen zu verkaufen, und in schlichten Appartements in der Innenstadt hausten. Nicht einmal im Hochsommer kleidete sich Nizza sommerlich: nackte Schultern, lockere Strandanzüge und Hanfschlappen, die in den Nachbarorten Furore machten, waren hier verpönt. Und die amerikanischen Touristen, die lärmenden Pariser und die mittelständischen Engländerinnen mit ihrem vornehmen Getue fuhren auf dem Weg nach Cannes oder Monte Carlo vorbei, ohne anzuhalten, ebenso wie die deutschen und italienischen Geschäftsleute, die die französische Riviera heimsuchten, ungehobelte Neureiche, gemästet am Busen der Nazis und Faschisten.
Eine der Silhouetten, die im Gegenlicht vorüberflanierte, unterschied sich von den anderen, und während sie auf Max zukam, erkannte er nach und nach Einzelheiten, Gesichtszüge und den Duft von Worth. Er war bereits aufgestanden, rückte seinen Krawattenknoten zurecht, und mit einem breiten Lächeln, das mit der Sonne um die Wette strahlte, streckte er der Herankommenden beide Hände entgegen.
»Gott steh mir bei, Baronin. Du siehst bezaubernd aus.«
»Du Schmeichler.«
Asia Schwarzenberg nahm Platz, setzte die Sonnenbrille ab, bestellte einen Scotch mit Perrier und sah Max mit ihren großen mandelförmigen, slawisch anmutenden Augen an. Er wies auf die Karte mit den Gerichten, die auf der Terrasse serviert wurden.
»Wollen wir in ein Restaurant gehen, oder möchtest du lieber etwas Leichtes zu dir nehmen?«
»Etwas Leichtes. Es ist schon in Ordnung hier.«
Max studierte die Karte, die auf der Rückseite mit einer Zeichnung vom Palais Méditerranée und einigen von Matisse gemalten Palmen bedruckt war.
»Foie gras und Château d’Yquem?«
»Ideal.«
Die Frau lächelte und zeigte ein sehr weißes Gebiss mit leichten Lippenstiftflecken an den Eckzähnen, wie sie sie überall zu hinterlassen pflegte: an Zigaretten, Glasrändern und den Hemdkragen der Männer, die sie zum Abschied küsste. Doch das war – vom Aroma einmal abgesehen, denn Worth war nach Max’ Empfinden perfekt für Kleidung, aber als Parfüm zu schwer – die einzige Unannehmlichkeit, die man ihr nachsehen musste. Im Gegensatz zu den falschen Adelstiteln vieler Abenteurerinnen aller Nationalitäten, die an der Riviera auftauchten, war der der Baronin Anastasia Alexandrowna von Schwarzenberg echt. Einer ihrer Brüder, ein Freund des Fürsten Jussupow, hatte zu den Mördern Rasputins gehört, und ihr erster Mann war 1928 von den Bolschewiken hingerichtet worden. Der Titel der Baronin stammte allerdings aus
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