Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
zustrebten, aus dem Musik zu hören war. Offensichtlich hatte keiner der drei die hundert Francs, die der Eintritt kostete. Sie beäugten Mecha mit stummer Habgier, und einer näherte sich ihnen, um von Max eine Zigarette zu schnorren. Er roch nach billigem Kölnischwasser, war jung und ziemlich hübsch, mit tiefschwarzem Haar und dunklen Augen, sehr italienisch. Er trug, wie die beiden anderen, ein doppelreihiges, tailliertes Jackett, einen steifen Kragen und Fliege. Der Smoking sah aus wie geliehen, und die Schuhe ließen zu wünschen übrig, doch legte der junge Mann eine formvollendete, kecke Unbefangenheit an den Tag, die schon an Dreistigkeit grenzte und Max unwillkürlich ein Lächeln entrang. Er blieb stehen, knöpfte seinen Burberry auf, zog das Schildpattetui hervor, klappte es auf und hielt es ihm hin.
»Nehmen Sie noch zwei für Ihre Freunde«, forderte er ihn auf.
Der Junge sah ihn verdutzt an. Dann nahm er drei Zigaretten, bedankte sich und begab sich nach einem letzten Blick auf Mecha zurück zu den anderen. Im Weitergehen bemerkte Max aus dem Augenwinkel, dass Mecha ihn amüsiert betrachtete.
»Alte Erinnerungen«, sagte sie.
»Klar.«
Hinter ihnen verhallten die letzten Töne der Musik, die von der Jetée-Promenade herüberkam, und das Orchester begann ein neues Stück.
»Nicht zu fassen«, lachte Mecha und hakte Max unter. »Das hast du für mich arrangiert. Inklusive Gigolos!«
Max musste ebenfalls lachen, verblüfft wie sie: Aus dem Tanzsaal des Kasinos erklang die Melodie des Tango de la Guardia Vieja und erhob sich über das Rasseln der Strandkiesel.
»Wollen wir hineingehen und tanzen?«, scherzte er.
»Wehe.«
Sie gingen sehr langsam und lauschend weiter.
»Es ist schön«, sagte sie, als das Stück verklungen war. »Schöner als das von Ravel.«
Nach einem längeren Schweigen drückte Mecha seinen Arm.
»Ohne dich gäbe es diesen Tango nicht.«
»Das bezweifle ich«, widersprach er. »Aber ich bin sicher, dass dein Mann ihn niemals ohne dich hätte schreiben können. Es ist dein Tango, nicht seiner.«
»Dummes Zeug.«
»Ich habe mit dir getanzt, erinnerst du dich? In dieser Kneipe in Buenos Aires ... Ich weiß noch, wie er dich angestarrt hat. Wie wir dich alle angestarrt haben.«
Als sie die Brücke über den Paillon überquerten, war es bereits dunkle Nacht. Zu ihrer Linken, auf der anderen Seite der Parkanlagen, lag die von Laternen erleuchtete PlaceMasséna. Eine Straßenbahn fuhr in der Ferne vorüber, kaum auszumachen hinter der dichten Phalanx von Bäumen und nur erkennbar durch den Funkenschlag am Stromabnehmer.
»Sag mal, Max«, sie berührte unter dem Regenmantel ihren Hals, »hattest du eigentlich von Anfang an geplant, die Kette zu klauen, oder hat sich einfach die Gelegenheit dazu ergeben?«
»Es hat sich so ergeben«, log er.
»Du lügst.«
Er sah ihr in die Augen, die Lauterkeit in Person.
»Bestimmt nicht.«
Es herrschte kaum Verkehr: Kutschen mit geschlossenem Verdeck und kleinen Lampen rollten über nasses Laub, und ab und zu durchstachen Autoscheinwerfer blendend den Nebel. Die beiden kreuzten achtlos die Fahrbahn, ließen die Promenade hinter sich und bummelten durch die Seitenstraßen des Cours Saleye.
»Wie hieß die Kneipe doch gleich?«, überlegte Mecha. »Diese Tango-Bar?«
»La Ferroviaria. Am Bahnhof von Barracas.«
»Ob es die wohl noch gibt?«
»Keine Ahnung. Ich war nie mehr dort.«
Erneut fielen dicke Regentropfen auf Max’ Hut. Noch lohnte es sich nicht, den Schirm aufzuspannen, doch sie beschleunigten ihren Schritt.
»Ich würde zu gern wieder einmal Musik in einem solchen Lokal hören, mit dir ... Gibt es in Nizza auch so etwas?«
»Finstere Spelunken, meinst du?«
»Ich meine ungewöhnliche Orte, Dummkopf. Ein bisschen anrüchig.«
»Wie die Pension in Antibes?«
»Zum Beispiel.«
»Mit oder ohne Spiegel?«
Statt zu antworten, nötigte sie ihn, stehenzubleiben undsich ihr zuzuneigen. Dann küsste sie ihn auf den Mund. Es war ein kurzer, intensiver Kuss voller Erinnerung und Verheißung. Benommen verspürte Max eine Woge heftiger Begierde.
»Natürlich«, sagte er. »Solche Orte gibt es überall.«
»Nenn mir einen.«
»Hier kenne ich nur das Lions at the Kill. Eine Diskothek in der Altstadt.«
»Der Name ist schon mal toll.« Mecha tat, als applaudierte sie, und setzte mit verschwörerischem Lächeln hinzu: »Lass uns sofort hingehen.«
Max nahm sie beim Arm und zog sie weiter.
»Ich dachte, wir wollten etwas essen.
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