Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
meine?«
»Mehr oder weniger.«
»Vor ein paar Tagen haben Sie uns von ihrer Kindheit in Buenos Aires und der Rückkehr nach Spanien erzählt. Viele Chancen scheint Ihnen das Leben damals nicht geboten zu haben. Ist es Ihnen später besser ergangen?«
Max strich ein weiteres Zündholz an, diesmal klappte es mit der Zigarette, und durch die erste Rauchwolke hindurch sah er die Frau an. Plötzlich schüchterte sie ihn nicht mehr ein. Er erinnerte sich ans Barrio Chino von Barcelona, die Canebière von Marseille, den Schweiß und die Angst als Fremdenlegionär. Die Leichen von dreitausend Männern, die, über den Weg von Annual nach Arruit verstreut, in der Sonne dörrten. Und an die Ungarin Boske in Paris, ihren atemberaubenden Körper im silbrigen Mondlicht, das durch das einzige Fenster der Mansarde in der Rue de Furstemberg auf die zerknüllten Laken schien.
»Ein wenig«, antwortete er schließlich, den Blick aufs Meer gerichtet. »Es ist mir später tatsächlich ein wenig besser ergangen.«
Die Sonne hat sich hinter der Punta del Capo versteckt, über dem Golf von Neapel wird es allmählich Nacht, und auf demWasser verglimmt der letzte Purpurschimmer. In der Ferne, am Fuß des Vesuvs, erstrahlen entlang der Küste zwischen Castellammare und Pozzuoli die ersten Lichter. Es ist Essenszeit, und die Terrasse leert sich nach und nach. Von seinem Platz aus sieht Max die Frau aufstehen und auf die Glastür zugehen. Für einen Moment kreuzen sich ihre Blicke erneut, doch der ihre gleitet achtlos und mit derselben Gleichgültigkeit über ihn hinweg. So nah sieht Max sie hier zum ersten Mal; und obwohl ihre frühere Schönheit noch zu erahnen ist – die Augen sind dieselben, und die Lippen bewahren ihre feine, schön gezeichnete Kontur –, hat die Zeit doch ihr zerstörerisches Werk vollbracht: Das kurze Haar ist grau, fast silbrig, wie das von Max; die Haut wirkt matt, weniger straff, und ist um Mund und Augen von winzigen Falten durchzogen; und die Hände, wenngleich noch immer schmal und elegant, sind von Altersflecken gesprenkelt. Doch ihre Bewegungen sind so, wie er sie in Erinnerung hat: gelassen, selbstsicher. Die einer Frau, die ihr Leben lang durch eine eigens für sie geschaffene Welt geschritten ist. Eine Viertelstunde zuvor haben sich Jorge Keller und die junge Frau mit dem Zopf zu der Gruppe am Tisch gesellt, und jetzt geht sie zusammen mit den beiden über die Terrasse, dicht an Max vorbei, und verschwindet aus seinem Blickfeld. Ein dicker, kahlköpfiger Mann mit schütterem Bart begleitet sie. Kaum dass die vier draußen sind, steht Max auf und folgt ihnen in den Wintergarten. Zwischen den Liberty-Sesseln und den Palmen bleibt er stehen. Von dort aus kann er die Glastür sehen, die in die Hotelhalle führt, und die Treppe zum Restaurant. Die Gruppe geht weiter in die Halle, und als Max dort ankommt, sind die vier bereits die Stufen der Außentreppe hinaufgegangen und durch die Parkanlage des Hotels unterwegs zur Piazza Tasso. Max kehrt in die Lobby zurück und wendet sich an den Portier.
»Ist das Keller, der Schachspieler?«
Seine Aufregung ist großartig gespielt. Der andere nickt zurückhaltend. Er ist ein hagerer, hochgewachsener Mann mit zwei kleinen gekreuzten Schlüsseln am Revers seines schwarzen Jacketts.
»In der Tat, mein Herr.«
Wenn Max Costa in den fünfzig Jahren, die er durch Etablissements aller Art gezogen war, eines gelernt hat, dann, dass niedere Angestellte nützlicher sind als ihre Chefs. Darum bemühte er sich stets um gute Beziehungen zu denen, die wirklich Probleme lösen: Portiers, Hausmeister, Kellner, Sekretärinnen, Taxifahrer oder Telefonistinnen. Alle die, die das Funktionieren einer wohlsituierten Gesellschaft erst ermöglichten. Allerdings fallen solche praktischen Beziehungen nicht vom Himmel, sie erfordern Zeit, gesunden Menschenverstand und etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann: eine Art Selbstverständlichkeit im Umgang, eine Gegenseitigkeit im Sinne von »Hilfst du mir heute, helfe ich dir morgen, und du hast etwas gut bei mir, mein Freund«. Für Max war ein großzügiges Trinkgeld oder eine dreiste Bestechung – seine gewinnende Art verwischte die ohnehin unscharfen Grenzen vollends – immer nur ein Vorwand für das umwerfende Lächeln, mit dem er, gleich darauf und noch bevor er den jeweiligen Coup zum Abschluss brachte, sowohl seine Opfer als auch seine freiwilligen oder unfreiwilligen Komplizen bedachte. So hatte sich der Chauffeur von Doktor
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