Dreimal im Leben: Roman (German Edition)
Hugentobler im Laufe seines Lebens in mühevoller Kleinarbeit einen reichen Schatz an persönlichen Beziehungen geschaffen und einzigartige, verschwiegene Bande geknüpft. Darunter auch solche zu Subjekten mit zweifelhaftem Ruf, unter objektiven Gesichtspunkten wenig vertrauenswürdigen Menschen beiderlei Geschlechts, die ihm ohne Skrupel eine goldene Uhr stehlen, dieselbe Uhr aber auch versetzen würden, um ihm im Notfall Geld zu leihen oder für seine Schulden geradezustehen.
»Der Meister geht jetzt sicher essen.«
Wieder nickt der Hotelangestellte unverbindlich und mit routinierter Höflichkeit, sich der Tatsache wohl bewusst, dass der gutaussehende ältere Herr auf der anderen Seite der Rezeption, der jetzt eine hübsche lederne Brieftasche zückt, für drei Nächte im Vittoria eine Summe bezahlt, die dem Monatslohn eines Portiers entspricht.
»Ich liebe Schach ... Ich wüsste zu gern, wo Herr Keller zu Abend isst. Die Besessenheit eines Bewunderers, Sie wissen schon.«
Ein Fünftausend-Lire-Schein, diskret gefaltet, gleitet von einer Hand in die andere und verschwindet in der Tasche der Jacke mit den Schlüsselchen am Revers. Das Lächeln des Portiers wirkt jetzt weniger routiniert. Herzlicher.
»Im Restaurant ’O Parrucchiano am Corso Italia«, sagt er, nachdem er in seinem Büchlein nach der Reservierung gesucht hat. »Man kann dort gut Cannelloni oder Fisch essen.«
»Ich werde es in den nächsten Tagen einmal ausprobieren. Vielen Dank.«
»Jederzeit gern zu Ihrer Verfügung, mein Herr.«
Zeit genug, denkt Max. Und so nimmt er die breite, mit pompejisch anmutenden Figuren geschmückte Treppe und lässt die Finger über das Geländer gleiten bis in den zweiten Stock. Vor dem Schichtwechsel hat Tiziano Spadaro ihm die Zimmernummern von Jorge Keller und seinen Begleiterinnen verraten. Die Frau hat die Nummer 429, und der lange Teppichläufer verschluckt Max’ Schritte, als er darauf zugeht. Eine gewöhnliche Tür, kein Problem, mit einem klassischen Schloss, bei dem man durch das Schlüsselloch sehen kann. Zuerst probiert er es mit seinem eigenen Zimmerschlüssel – es wäre nicht das erste Mal, dass ihm der Zufall größeren Aufwand ersparte – und holt dann, nach einem raschen Blick zu beiden Seiten des Flurs, einen einfachen Dietrich aus der Tasche, ein Instrument so perfekt wie eine Stradivari: ein fingerlanges, flaches, dünnes, an einem Ende abgeknicktes Stück Stahl, das er zwei Stunden zuvor an der Tür seines eigenen Zimmers getestet hat. Keine halbe Minute später ist ein dreimaliges leises Klicken zu hören, und das Schloss ist offen. Mit der Gelassenheit des Profis, der einen Großteil seines Lebens damit verbracht hat, in aller Seelenruhe fremde Türen zu öffnen, dreht Max den Knauf. Danach wirft er sicherheitshalber einen letzten Blick in den Flur, hängt das Schild mit der Aufschrift Non disturbare an die Tür und tritt ein, wobei er leise durch die Zähne pfeift: Der Mann, der die Bank von Monte Carlo sprengte .
3 DIE JUNGS VON FRÜHER
Das Zimmer hat eine hübsche Terrasse mit einem Bogen, der den Blick auf die Bucht rahmt und durch den das letzte Licht des Tages fällt. Vorsichtshalber zieht Max die Vorhänge zu, geht ins Bad und kommt mit einem Handtuch zurück, mit dem er den Schlitz unter der Tür abdeckt. Dann streift er ein Paar dünne Gummihandschuhe über und schaltet das Licht an. Das Zimmer ist schlicht, mit Damastsesseln und Stichen von neapolitanischen Ansichten an den Wänden. Auf der Kommode steht eine Vase mit frischen Blumen, es ist alles ordentlich und sauber. Im Bad liegt eine Kulturtasche aus Monogram Canvas, darin ein Flakon Chanel-Parfüm und Feuchtigkeitscreme und Reinigungslotion von Elizabeth Arden. Max sieht sich um, ohne etwas anzufassen, und durchsucht dann vorsichtig das Zimmer. In den Schubladen, auf der Kommode und den Nachttischen liegen persönliche Dinge verstreut, Notizbücher und eine Geldbörse mit einigen tausend Lire in Scheinen und Münzen. Max setzt die Brille auf und wirft einen Blick auf die Bücher: zwei Krimis auf Englisch von Eric Ambler – die er an Bahnhofskiosken gesehen zu haben glaubt – und ein Roman von einem gewissen Soldati auf Italienisch: Le lettere da Capri . Darunter liegt, mit einem Briefumschlag des Hotels als Lesezeichen, eine englische Biografie von Jorge Keller mit seinem Foto auf dem Cover. Der Titel lautet A Young Chessboard Life , und etliche Absätze sind in dem Buch mit Bleistift unterstrichen. Max überfliegt
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