Du sollst meine Prinzessin sein
Leitung. „Sie ist doch nur seine Tante, welche Rechte hat sie schon?“
„Juristisch wasserdichte Rechte“, erwiderte Rico trocken.
Nach einer kurzen Pause erwiderte Luca scharf: „Sie will mehr Geld, nehme ich an?“
„Sie will ihren Sohn“, entgegnete er mit derselben Schärfe.
„Der Junge ist bloß ihr Neffe.“
„Sie hat ihn wie einen Sohn großgezogen, und er sieht sie als seine Mutter an. Was sie, im rechtlichen Sinne, ja auch ist. Sie hat ihn nach seiner Geburt adoptiert. Wenn sie sich also nicht von ihm trennen will, müssen wir das akzeptieren.“
Wieder entstand eine Pause.
„Wie viel hast du ihr angeboten?“, fragte Luca schließlich.
„Luca … hier geht es nicht um Geld. Sie ist nicht bereit, überhaupt nur darüber nachzudenken, verstehst du?“ Erschwieg einen Moment. „Und ich auch nicht mehr. Die Verbindung zwischen ihnen ist die von einer Mutter zu ihrem Kind. Ich habe den ganzen Tag mit ihnen verbracht. Es mag uns nicht gefallen, aber so ist es nun einmal. Unsere einzige Möglichkeit besteht darin, sie zu überzeugen, mit dem Jungen in San Lucenzo zu leben. Ich werde mein Bestes tun, das zu erreichen. Aber ich habe ihr mein Wort gegeben, niemand würde ihr den Jungen wegnehmen.“
Draußen im Garten konnte Rico die beiden immer noch Fußball spielen hören. Plötzlich wollte er nichts sehnlicher als mitzuspielen.
„Rico“, riss Luca ihn aus seinen Gedanken, „sag und tu im Moment gar nichts. Ich werde mit unserem Vater sprechen. Es wird ihm nicht gefallen, aber …“ Rico konnte fast hören, wie Luca die Schultern zuckte. „Ich rufe dich wieder an.“
Die Leitung war tot. Ricos Blick fiel wieder auf die Gestalt, die auf dem Rasen mit Ben spielte. Sie trug eine Art Trainingsanzug, sackartig und formlos. Das spröde Haar hatte sie zu einem festen Pferdeschwanz zusammengefasst. Sie sah übergewichtig und unproportioniert aus. Doch was bedeutete dem Jungen ihr Äußeres? In diesem Moment jagte Ben dem Ball nach, stolperte und fiel ins Gras. Sofort war sie an seiner Seite, umarmte ihn, untersuchte sein Knie und küsste es, bevor sie ihr Spiel wieder aufnahmen. Ganz alltägliches mütterliches Verhalten.
Erinnerungen stiegen in ihm auf. Oder eher, das Fehlen von Erinnerungen. Wer hatte ihn aufgehoben, wenn er hingefallen war? Ein Kindermädchen? Oder wer von den Angestellten auch immer gerade Dienst hatte? Nicht seine Mutter. Seine Mutter hatte er immer nur um fünf Uhr am Nachmittag gesehen, wenn sie Tee getrunken und ihn und Luca nach ihren Fortschritten im Unterricht befragt hatte.
Rico runzelte die Stirn. Paolo war der Einzige gewesen, der je neben ihr auf dem Sofa im Wohnzimmer hatte sitzen dürfen. Der Einzige, den sie umarmt hatte.
Der Gedanke versetzte seinem Herzen einen Stich. Er würdeseiner Mutter Paolos Sohn bringen.
Rico schaute auf seine Uhr. Vor Ablauf einer Stunde würde Luca bestimmt nicht zurückrufen. Zeit genug, um seinem Neffen ein paar Fußballtricks beizubringen. Er stürmte die Treppe hinunter.
„Schluss jetzt, Ben, Schlafenszeit.“
„Mummy … nur noch ein Tor. Bitte!“
„Golden Goal“, warf Rico ein.
„Na gut, aber nur dieses eine“, gab Lizzy nach.
Es war eine seltsame halbe Stunde gewesen. Wie aus dem Nichts war der Prinz auf dem Rasen aufgetaucht und hatte sich an ihrem Fußballspiel beteiligt. Oder genauer, hatte es übernommen.
Ben war überglücklich.
„Du kannst Schiedsrichter sein, Mummy“, wies er sie an.
Sie setzte sich auf einen kleinen Hügel neben dem Spielfeld und sah ihnen zu. Ihre Emotionen befanden sich immer noch in wilder Aufregung, aber zumindest fühlte sie sich ein wenig ruhiger als noch am Morgen.
Sie haben mein Wort, hatte er gesagt.
Meinte er das ernst?
Er hatte anders gewirkt, als er es ihr gesagt hatte. Wie oder warum konnte sie nicht genau einschätzen.
Und er hatte sie angesehen. Hatte ihr in die Augen geschaut.
Als ob sie plötzlich zu einem wirklichen Menschen geworden wäre.
Und während dieses Blicks war etwas passiert. Etwas, das den harten Knoten der Angst tief in ihrem Inneren zum ersten Mal ein wenig lockern ließ.
Nur ein winziges bisschen.
Etwas hatte sich verändert, als sie ihm ihre Furcht und ihr Entsetzen gezeigt hatte. Ihm gesagt hatte, ihn angeschrien hatte, dass sie niemals zulassen würde, dass man ihr Ben wegnahm, weil sie seine Mutter war.
Aber nun hat er auch einen Onkel. Zwei Onkel. Und Großeltern.
Eine Familie.
Eine Familie, für die Ben nicht das peinliche
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