Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
gewesen sind, aber der Schmerz, den ich empfinde, verrät mir, dass es so gewesen sein muss.
Ohne nachzudenken, beuge ich mich vor und schlinge meine Arme um James, sodass er gegen den Türrahmen auf der anderen Seite stolpert.
Anfangs liegen seine Hände noch ungelenk auf meinen Hüften, und ich lehne meinen Kopf an seine Brust. Dann schließen sich seine Arme beschützend um mich, und es ist fast schon erschreckend, wie viel Trost mir seine Berührung schenkt.
»Entschuldigung«, sage ich plötzlich und richte mich auf, trete einen Schritt zurück, unsicher, ob es irgendetwas gibt, was ich sagen könnte, um diese spontane Demonstration meiner Zuneigung weniger peinlich wirken zu lassen.
Aber James packt mich an den Handgelenken und zieht mich wieder an sich, umarmt mich diesmal ganz fest, als wäre nur er es, der dies braucht.
Wir bleiben so stehen, sein Herz klopft an meinem. James legt seine Hand auf meinen Nacken, schiebt sie unter mein Haar. »Ich mag das«, sagt er. »Und es ist merkwürdig, weil wir uns nicht wirklich kennen, aber …« Er spricht nicht weiter, doch ich versuche nicht, den Satz für ihn zu beenden, weil ich auch so weiß, was er meint.
Er und ich, so nah beieinander. Es ist das seltsamste Gefühl überhaupt, voller Dinge, die ich nicht verstehe, Trost und Qual zugleich. Doch eins weiß ich ganz genau: Ich fühle mich sicher.
»James«, sage ich.
»Sloane.«
»Ich glaube, das haben wir früher schon getan.« Ich bin mir dessen so sicher, und dennoch weiß ich nicht, was ich davon halten soll. Wie kann ich mich jemandem, den ich nicht kenne, so nahe fühlen?
Ein langes Schweigen entsteht, und dann schiebt James mich schließlich weg, doch seine Hand liegt immer noch auf meinem Nacken. »Ich sollte gehen«, sagt er. »Ich … ich werde morgen mit dir reden.«
Sein Gesichtsausdruck verrät mir seine Unsicherheit, und ich wünschte, ich hätte den Mund gehalten, hätte nicht unterstellt, dass wir mehr als nur Freunde waren. Er wirkt völlig verstört.
»Tut mir leid …«, beginne ich, aber er schüttelt den Kopf.
»Es gibt überhaupt nichts, was dir leid zu tun braucht«, widerspricht er ganz sanft. Höflich. Dann wendet er sich ab, geht auf den Flur, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
In meinen Augen brennen Tränen. Ich will nicht, dass er geht.
Als wir zur Hintertür kommen, bleibt James stehen, drückt sie auf, schaut mich aber nicht an.
»Tut mir wirklich leid wegen deinem Bruder, Sloane«, sagt er.
Ich komme nicht mehr dazu, ihm zu antworten. Er geht und lässt mich allein hier in unserer Küche stehen.
9. Kapitel
Ich liege in meinem Bett und habe den purpurfarbenen Ring auf meinen Finger gesteckt. Warum habe ich das getan? Es ist doch nur ein billiger Plastikring. Ich halte meine Hand näher an mein Gesicht, hoffe, dass ich einen Geistesblitz habe, doch es passiert nichts.
Ich drehe mich auf die Seite und vertiefe mich erneut in das Foto. Mein Herz schmerzt, wenn ich sehe, wie glücklich Brady scheint, und ich weiß, dass ich diesen Ausdruck nie wieder erblicken werde. Und neben ihm steht James, genauso sorglos.
Es verwirrt und verletzt mich, wie James mich heute behandelt hat. Ich verstehe es nicht. Habe ich denn etwas Falsches gesagt, ihn zu sehr bedrängt? Ich dachte, er empfände das Gleiche wie ich, aber dem ist wohl nicht so. Es will mir einfach nicht in den Kopf, wieso er sich so aufführt, und schlimmer noch, ich fühle mich zurückgewiesen.
Ich suche doch nur nach dem, was ich verloren habe.
Ich gehe James aus dem Weg, als ich wieder in der Schule bin, was auch gut ist, denn Kevin scheint an mir zu kleben. Fast schon erwarte ich, ihn auch abends noch im Badezimmer neben mir zu sehen, wenn ich mir vor dem Schlafengehen die Zähne putze.
Doch als ich die zweite Woche meiner Genesung hinter mir habe, nimmt er mich nach dem Mathe-Unterricht auf dem Flur beiseite. »Hier«, sagt er und drückt mir einen Zettel in die Hand.
Ich schaue auf die Adresse, dann blicke ich Kevin an.
»Michael wird auf dich warten.« Kevin deutet auf den Zettel. »Aber, Sloane«, fügt er vorsichtig hinzu, »sie haben mich von deinem Fall abgezogen. Ich bin nicht sicher, ob man dir einen neuen Betreuer zuweist oder … was dahintersteckt. Deshalb gebe ich dir Michaels Kontaktadresse.« Er atmet tief durch, als würde es ihn wirklich bedrücken, mich zu verlassen. Ich allerdings bin froh, dass er mich nun nicht mehr überwachen wird, und ich hoffe, dass sie mir
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