Du. Wirst. Vergessen.: Roman (German Edition)
fallen und schubste mich dabei an. James war groß, und ich kippte zur Seite, fing mich mit den Händen ab. Normalerweise hätte ich zurückgeschubst, doch ich wollte ihn nicht anfassen. Ich wolle einfach nur herausfinden, wie ich meine Gefühle dazu bringen konnte, wieder zu verschwinden. James, Brady und ich waren ein Team. Ich wollte nicht, dass es auseinandergerissen wurde.
»Verdammt noch mal«, meinte er, und es klang amüsiert, »du hast mich tatsächlich auf diese Weise angeschaut.«
»Hab ich nicht«, leugnete ich schnell, doch James las die Wahrheit auf meinem Gesicht. Sein unbefangenes Lächeln verblasste.
»Tu das nicht, Sloane«, sagte er gequält. »Du kannst nicht … Wir können nicht …« Er hielt inne, und in seinen schönen Augen lag nichts als Mitleid für mich.
Also tat ich das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte. Ich boxte ihn gegen die Brust, so fest, dass er nach Luft schnappte. Dann stand ich auf und ging davon.
Und nun sind wir wieder hier. Mehr als zwei Jahre sind vergangen. Wieder einmal beobachte ich James dabei, wie er das Zelt aufbaut. Mein Bruder jedoch ist nicht mehr dabei. Er ist tot. Das Haar fällt James nicht mehr in die Augen, dennoch fährt er sich geistesabwesend mit der Hand über die Stirn. Zwischendurch schaut er zu mir herüber, aber er lächelt nicht wie an jenem Tag. Eine unendliche Müdigkeit liegt in seinem Blick. Weil er das Zelt allein aufbauen muss. Er presst die Lippen zusammen, und es ist fast, als hätte er es laut ausgesprochen: Ich vermisse ihn so.
Unser Team ist auseinandergerissen worden. Doch es war nicht meine Schuld. Sondern die von Brady.
Das Feuer knistert, die Hitze kriecht zu meinen Stiefeln hinauf. Die Sonne ist vor ein paar Stunden untergegangen. Wir haben beide während des Tages nicht viel geredet. Es war angenehm, dass wir nicht zu reden brauchten.
James pikst mich mit einem dünnen Stock am Bein, und ich nehme ihm den Stock weg.
Er schaut mich an. »Marshmallow?«, fragt er und hält mir eines zwischen Daumen und Zeigefinger hin.
Ich dagegen beobachte, wie das Licht der bernsteinfarbenen Flammen über sein Gesicht flackert, das starke Kinn hervorhebt, die blonden Haare. Ich lächele.
»Du bist schön«, sage ich.
»Nackt seh ich auch nicht so schlecht aus«, meint er. »Das hättest du ruhig ebenfalls erwähnen können.«
»Hab’s vergessen.«
»Vergessen?« Er tut so, als wäre er beleidigt, beißt ein Stück aus dem Marshmallow, bevor er den Rest ins Feuer wirft. Dann lässt er sich unvermittelt aus seinem Stuhl fallen, kriecht herüber zu mir und zieht mich aus meinem, sodass ich neben ihm im Dreck lande.
»James …« Ich lache, will noch mehr sagen, doch da sind seine Lippen schon auf meinen, und sie schmecken klebrig und süß.
Er drückt mich zurück, schiebt mit seinem Knie meine Beine auseinander, dann beginnt er, meinen Hals mit Küssen zu bedecken.
»James«, sage ich erneut, und diesmal ist meine Stimme voller Verlangen.
Ich liebe sie, diese Momente. Denn wenn wir über den Boden rollen, wenn das Feuer glühend heiß brennt, während James mir die Kleidung abstreift, dann kann ich alles andere aus meinen Gedanken verbannen. Ich kann mich ganz darauf konzentrieren, wie gut ich mich in diesem Augenblick fühle. Ich kann so tun, als gäbe es nichts anderes als uns beide.
Als James dann später neben mir liegt, schwer atmend und stolz – was er übrigens zu Recht sein kann –, blicke ich hinauf zu den Sternen oben am Himmel. Ich bleibe lange so liegen. James hat längst sein T-Shirt wieder übergezogen, das Kondom eingesammelt und es entsorgt.
Als er zurückkommt, setzt er sich neben mich, zieht meinen Kopf in seinen Schoß, und zusammen betrachten wir den nächtlichen Himmel.
»Einer von den Sternen dort oben ist Brady«, sagt er. »Irgendwo ganz weit entfernt, wo ihm nichts und niemand mehr wehtun kann.«
Seine Stimme bricht, und er spricht nicht weiter. Er schnieft, Tränen rollen über seine Wangen. Nur in solchen Momenten gibt er seine Wachsamkeit lange genug auf, dass er offen reden kann – nur in solchen Momenten werden seine Gefühle so übermächtig, dass er sie nicht länger zu verbergen vermag.
»Er hat dich geliebt«, sage ich und schmiege mich an ihn. »Egal, was er später getan hat, du warst das Beste, was ihm je passiert ist.«
James sieht auf mich herab, wischt seine Tränen weg. »Nein, das warst du.« Die Art und Weise, wie er mich anschaut, zeigt mir, dass auch er nur ein Mensch ist. Und
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