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Dubliner (German Edition)

Dubliner (German Edition)

Titel: Dubliner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Joyce
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bemerken, dass zwei Briefe fehlten.
    Das durchdringende dumpfe Parfüm hing bis hinauf zu Mr Alleynes Büro in der Luft. Miss Delacour war eine Frau mittleren Alters von jüdischem Aussehen. Es hieß, Mr Alleyne habe es auf sie oder ihr Geld abgesehen. Sie kam oft ins Büro und blieb jedes Mal lange Zeit. Sie saß jetzt neben seinem Schreibtisch, umgeben von einer Wolke von Düften, strich über den Griff ihres Schirms und ließ die große schwarze Feder an ihrem Hut wippen. Mr Alleyne hatte sich ihr in seinem Drehstuhl zugewandt und seinen rechten Fuß ungezwungen auf sein linkes Knie gelegt. Der Mann legte die Korrespondenz auf den Schreibtisch und verbeugte sich ehrerbietig, aber weder Mr Alleyne noch Miss Delacour nahmen Notiz von seiner Verbeugung. Mr Alleyne tippte nur auf die Briefe und schnippte den Finger dann in seine Richtung, als wollte er sagen In Ordnung, Sie können gehen.
    Der Mann ging zurück ins untere Kontor und setzte sich wieder an sein Pult. Unverwandt sah er auf den unvollständigen Satz Unter keinen Umständen soll besagter Bernard Bodley ... und dachte dabei, wie seltsam es war, dass die letzten drei Wörter mit demselben Buchstaben anfingen. Der Bürovorsteher begann, Miss Parker zur Eile zu drängen, weil sie, sagte er, sonst niemals mit dem Tippen der Briefe fertig werden würde, bevor die Post hinausging. Ein paar Minuten lang lauschte der Mann dem Klappern der Maschine, dann machte er sich daran, seine Kopie zu beenden. Aber sein Kopf war nicht klar, und seine Gedankenschweiften hin zu der Kneipe mit ihrem hellen Licht und Gläserklirren. Dies war eine Nacht für heißen Punsch. Er mühte sich mit seiner Kopie ab, aber als es fünf Uhr schlug, hatte er immer noch vierzehn Seiten vor sich. Zum Teufel damit! Es war unmöglich zu schaffen. Am liebsten hätte er laut geflucht und voller Gewalt mit der Faust auf irgendetwas geschlagen. Er war so wütend, dass er Bernard Bernard anstatt Bernard Bodley schrieb und auf einem sauberen Blatt noch einmal anfangen musste.
    Er fühlte sich stark genug, das gesamte Büro mit der linken Hand leer zu fegen. Alles in ihm sehnte sich danach, irgendetwas zu tun, loszustürmen und in roher Gewalt zu schwelgen. All die Demütigungen seines Lebens versetzten ihn in Wut ... Ob er den Kassierer im Stillen um einen Vorschuss bitten konnte? Nein, bei diesem Kassierer war das zwecklos, verdammt zwecklos: Der würde ihm keinen Vorschuss geben ... Er wusste schon, wo er die Jungs finden würde: Leonard und O’Halloran und Nosey Flynn. Sein Gefühlsbarometer stand auf Krawall.
    Seine Phantasien hatten ihn so gefangen genommen, dass er erst antwortete, als sein Name zum zweiten Mal gerufen wurde. Mr Alleyne und Miss Delacour standen auf der anderen Seite des Tresens, und alle Schreiber hatten sich erwartungsvoll umgedreht. Der Mann erhob sich von seinem Pult. Mr Alleyne ließ einen Schwall von Beschimpfungen los und sagte, dass zwei Briefe fehlten. Der Mann entgegnete, davon wisse er nichts, er habe ordnungsgemäß Kopien gemacht. Die Beschimpfungen gingen weiter. Sie waren so gewalttätig und beleidigend, dass der Mann nur mit Mühe seine Faust davon abhalten konnte, auf den Schädel des Männchens vor ihm niederzufahren.
    – Ich weiß nichts von irgendwelchen anderen Briefen, sagte er dumpf.
    – Sie – wissen – nichts – davon! Natürlich wissen Sie nichts,sagte Mr Alleyne. Sagen Sie mal, fügte er hinzu, nachdem er die Dame neben sich Beifall heischend angesehen hatte, halten Sie mich für einen Trottel? Halten Sie mich für einen völligen Trottel?
    Der Blick des Mannes wanderte vom Gesicht der Dame zu dem kleinen eiförmigen Kopf und wieder zurück; und noch ehe es ihm so recht bewusst war, hatte seine Zunge ihren glücklichen Moment:
    – Ich finde es unfair, sagte er, dass Sie mich das fragen, Sir.
    Den Schreibern stockte der Atem. Alle waren wie vom Donner gerührt (der Urheber dieser witzigen Bemerkung nicht weniger als alle andern), und Miss Delacour, eine gutmütige korpulente Dame, schmunzelte breit. Mr Alleynes Gesicht nahm die Farbe einer wilden Rose an, und seine Lippen zuckten vor zwergenhafter Empörung. Er fuchtelte mit seiner Faust vor dem Gesicht des Mannes herum, bis sie zu vibrieren schien wie ein Knopf an einer elektrischen Maschine:
    – Sie unverschämter Flegel! Sie unverschämter Flegel! Mit Ihnen bin ich schnell fertig! Sie werden schon sehen! Sie werden sich auf der Stelle für Ihre Unverschämtheit entschuldigen, oder Sie fliegen

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