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Duenenmond

Duenenmond

Titel: Duenenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Johannson
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Gemälde über dem Bett ins Auge. Es zeigte einen Strandabschnitt, wie sie ihn von ihrem Zimmer aus sehen konnte. Hellgrüne Dünen, Buhnen, die vom Strand ins tiefe Wasser führten und sich schließlich in der Ostsee verloren, leuchtend rote Strandkörbe und bunte Drachen, die in der Luft tanzten. Nichts Ungewöhnliches. Bis auf ein kleines Mädchen mit braunen kurzen Haaren, das von hinten zu sehen war. Das Bild verschwamm. Jo blinzelte mehrmals. Nie hatte ihr Vater sie porträtiert, nie auch nur ein Bild gemalt, auf dem sie oder ihre Mutter zu sehen war. Das dachte sie jedenfalls bisher. Und nun hing da diese Strandszene in Öl, und sie war sicher, sich selbst als kleines Mädchen darauf zu erkennen.
    »Es ist wunderschön«, sagte sie leise.
    »Ja, das isses.«
    Jo sah sich kurz um. Ein Schlafzimmer, ein Wohnraum mit einer Küchenzeile, ein winziges Bad mit Dusche, das war alles. Die Einrichtung war zweckmäßig einfach, aber bestens in Schuss und liebevoll mit maritimen Details versehen. Sie konnte verstehen, dass ihr Vater immer wieder hierher gekommen war.
    »Hier hat er gewohnt«, sinnierte Jette. »Und nu isser hin. Ein Jammer!« Sie seufzte. »Kommen Sie, bevor wir noch erwischt werden«, meinte sie und zupfte Jo am kurzen Ärmel ihrer Bluse.
    »Danke, dass Sie mir das Bild gezeigt und so viel von meinem Vater erzählt haben. Was bin ich für den Sherry schuldig?«
    »Na, das wäre ja wohl noch schöner«, ereiferte sich die Alte. »Ich habe mich doch so gefreut über den Besuch. Wollen wir noch einen nehmen zum Abschied?« Sie war bereits wieder bei der Flasche.
    »Oh, vielen Dank, aber besser nicht.« Jo hob abwehrend die Hand.
    »Wie lange bleiben Sie noch? Kommen Sie mich noch mal besuchen?«
    »Das mache ich sehr gern. Eine Woche bin ich ja noch hier.«
    Als Jo hinaus in die frische Luft trat, machte sich der Alkohol schlagartig bemerkbar. Sie kniff die Augen zusammen, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen, und hielt sich einen Moment an einem Glaskasten fest, der rechts neben der Tür angebracht war und die Speisekarte enthielt. Sie pustete, ihr war schwindelig. Wenn nur Sönke sie jetzt nicht entdeckte, beschwipst mitten am Tag. Sie machte einen Schritt zur Seite und studierte die angebotenen Speisen. Zum einen fiel es dann nicht auf, dass sie noch immer gegen den Schwindel kämpfte, zum anderen brauchte sie jetzt wahrscheinlich wirklich etwas Herzhaftes. Neben der Karte hingen Fotos, auf denen Gäste des Restaurants zu sehen waren. Jo betrachtete die Aufnahmen, deren Farbe größtenteils bereits verblichen war. Die Beschichtung blätterte längst ab, die Ecken bogen sich nach innen. Sie sah in fröhliche Gesichter. Gutgelaunte Urlauber feierten, lachten und tanzten. Mitten unter ihnen ihr Vater, der eine Frau mit dunkelbraunen Haaren im Arm hielt.Jo war durcheinander. Warum hatte er nie ein Wort über seine Frau verloren, wenn er doch zugegeben hatte, eine Tochter zu haben? Wer war diese Brünette auf dem Foto? Nur eine Touristin, die zufällig neben ihm gesessen hatte? Wieso hatte er seine Josefine auf einem Bild verewigt und es dann der Zimmerwirtin geschenkt, anstatt es mit nach Hause zu nehmen. Er hatte viele Bilder mitgebracht, beziehungsweise schicken lassen, zumindest in den ersten Jahren. Später waren es immer weniger geworden. Klar, er hatte sie in Galerien verkaufen lassen und verschenkt. Wenn sie genau darüber nachdachte, wunderte es sie nicht. Ihre Mutter und sie hatten sich nicht gerade begeistert gezeigt von noch mehr Sonnenuntergängen oder weiteren Bodden-Bildern.
    Tut mir leid, Papa, dachte sie betrübt. Wie musste er sich gefühlt haben, wenn er nach Wochen als gefeierter oder wenigstens anerkannter Künstler nach Hause zurückkehrte zu zwei ignoranten Weibsbildern, die über seinen Stil nur die Nase rümpften?
    Ziellos lief sie vom Hafen einfach geradeaus in Richtung Ostsee, bog irgendwann links ab und fand sich am Steilufer wieder. Sie marschierte lange und zügig, der Schweiß tropfte ihr aus dem Haar. Die Bewegung tat ihr gut, ihr Körper konnte den Alkohol abbauen.
    Als sie zum Hotel zurückging, eine Flasche Rotwein und einen Kasten Wasserfarben mit diversen Pinseln unter dem Arm, die sie gekauft hatte, waren nur noch wenige Spaziergänger am Strand unterwegs. Im Restaurant des Hotels bestellte sie einen Garnelen-Cocktail und ein Steak mit Ofenkartoffeln.
    »Dürfte ich wohl in meinem Zimmer essen?«
    »Aber natürlich, kein Problem.«
    Sie beeilte sich, unter die Dusche

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