Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
hervor, „will ich nicht. Ich schäme mich so sehr, Dad! Er war für mich da, immer. Aber ich kann nicht über meinen Schatten springen. Ich müsste ihn belügen und das will ich noch weniger. Denn es täte am Ende noch mehr weh.“
Ich beschloss, meinen frisch gefassten Plan zu verkünden.
„Es wäre besser, wenn ich nach unserem Urlaub nicht mit zurückkomme. Vielleicht …“ Ich seufzte und sank gegen die Rückenlehne des Stuhls.
„Er hat mir vorhin schon gesagt, dass er nicht mitkommen wird. Egal, was aus euch nun wird.“
„Ja, sieht ihm ähnlich. Dad, ich würde so gern das sein, was er will, aber ich kann das nicht!“
Seine Hand legte sich auf meine Schulter und er drückte sie kurz. „Ihr seid beide sehr erwachsen. Eure jeweilige Vergangenheit hat euch geprägt und verbrannt. Vielleicht bekommt ihr das doch wieder auf die Reihe.“
Ich wünschte mir, dass er recht hatte. Dass wir das wirklich irgendwann schaffen könnten. Aber wenn ich ehrlich war, sah ich keinen Weg vor mir, der dahin führen könnte.
„Ich sollte wieder zurückgehen“, sagte ich ausweichend.
Zachary lächelte. „Ja, das solltest du.“
Ich erhob mich und ging zur Tür, in deren Rahmen ich mich noch einmal umdrehte. „Danke, Dad. Ich weiß wirklich nicht, wo ich jetzt wäre, wenn es dich nicht gäbe.“
Ich sah sein Lächeln und fühlte die Wärme, die es in mir auslöste. Dann ging ich hinaus und machte mich auf den Weg nach Tennington Castle.
~*~
Ich kehrte in unsere Wohneinheit zurück und verließ sie mit meinem Zeichenkram wieder. Wohin sollte ich gehen? Ins Geheimversteck? An den See? Mir war furchtbar egal, ob einer meiner heutigen Lehrer mich sah. Ich würde in nicht ganz zwei Monaten wieder verschwinden. Einmal mehr alles hinter mir lassen, weil mich irgendein Umstand dazu zwang.
Diesmal hatte ich es selbst verschuldet. Aber das machte nichts besser.
Letztlich entschied ich mich wirklich für den gemütlichen Raum oberhalb des Pferdestalls und betrat das Geheimversteck nur um zu sehen, dass es bereits besetzt war.
Ich vollführte beinahe einen Wiegeschritt, um gleich wieder rückwärts hinauszugehen, aber irgendetwas hielt mich dann doch davon ab.
Es waren der Geruch und die Geräusche im Versteck.
Zeichenblock und Stiftmäppchen landeten auf dem Sideboard hinter der Tür, die ich leise schloss, bevor ich um den runden Tisch herum zu der Matratze ging.
Unwiderstehlich drang Yves’ Duft in meine Nase, das schmerzhafte Klirren in meinem Inneren aber wurde übertönt von einem anderen Klang.
Yves hatte mich nicht bemerkt. Er lag bäuchlings diagonal auf der Matratze. Seine Schultern, nein, sein ganzer Leib bebte unter Schluchzern, die so herzerweichend von den Wänden widerhallten, dass ich nichts anderes mehr wahrnahm. Sie betäubten mich, die Laute, die so kläglich und dumpf durch das Kissen klangen, in das er sein schönes Gesicht presste.
Meine Füße setzten sich in Bewegung und ich kniete mich neben die Matratze. Meine Hand zitterte, bevor ich sie zwischen seine Schulterblätter auf seinen Rücken legte. Ganz leicht nur, ich fürchtete mich vor jedweder Reaktion.
Tränen brannten in meinen Augen, als er hochschreckte und sich von mir weg bewegte. Er wusste schließlich, außer mir kam niemand hierher. Also konnte auch nur ich es gewagt haben, ihn zu berühren.
Yves sah mich nicht an, er rollte sich zusammen und wirkte so hilflos, dass mir der Magen flau wurde.
Was hatte ich getan? Konnte ich etwas anderes tun?
Der Schmerz zog sich voll Feuer durch meinen Körper. Ich wollte ihn so nicht sehen und doch hatte ich und niemand sonst ihn in diese Situation gebracht.
Mein Fluchtreflex erwachte so nachdrücklich, dass ich bereits an der Tür war, bevor ich es begriff. Als ich die Klinke herabdrückte, erwachte ich aus der Panik und drehte mich wieder zu ihm um.
Er verdiente einfach nicht, so zu leiden. Nicht wegen mir und auch wegen niemand anderem.
Mit echtem Erstaunen stellte ich fest, dass mein eigenes Leid, mein verlorengegangenes Vertrauen, mein wiedererwachtes Misstrauen und die tiefe Enttäuschung in den Hintergrund rückten. Langsam kehrte ich zu ihm zurück und diesmal setzte ich mich auf die Matratze. Er musste es spüren, sie war fest und dadurch bemerkte man sofort, wenn sie an anderer Stelle belastet wurde.
Ich würgte an meinen Worten, bis ich sie schließlich hervorbrachte. „ Je suis tellement désolé , Yves. Bitte, schrei mich an, tu irgendetwas!“
Mit jedem Wort gewann
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