Dunkle Häfen - Band 1
nicht in ihren Zimmern waren, er beobachtete sie vorher sorgfältig. Als es unten ganz still wurde, huschte er hastig aus dem Zimmer. Eine Männerstimme durchschnitt brüllend die Stille. Edwards Neugier wurde geweckt. Normalerweise war es nicht so leise, wenn es eine Streiterei gab. Er spähte die Treppe hinunter und lief zur Tür, als er die Versammlung dort entdeckte. Einige der Frauen folgten ihm, um auch zu schauen, die Gesichter ebenso ratlos. Hinter den hohen Rücken der Frauen konnte Edward zunächst nicht sehen, er musste sich erst auf einen Stuhl stellen, um den Überblick zu haben. Die Männer waren abgerissenene Kerle mit grob geflickten Kleidern und ungepflegten Haaren. Ihre Haut war so rau wie Wildleder und voller Narben. Sie hatten die unflätige Sprechweise von Seeleuten, die noch mehr Flüche kannten, als die Menschen aus den unteren Schichten der Stadt.
Edward war sich sicher, dass diese Männer keine gewöhnlichen Matrosen waren. Er hatte oft genug Piraten und Sklavenhändler am Hafen gesehen, wo sie ihre Geschäfte tätigten, um sie von den anderen unterscheiden zu können. Bei den Frauen waren diese Kerle nicht besonders beliebt, denn sie waren oft brutal und grausam. Ein einzelner Mann aus der Gruppe trat hervor. Edward erkannte ihn. Es war der zweite Kerl, der aufgetaucht war, als Ramis seinen Kumpel aufgespießt hatte. Seine geliebte Tante Ramis, die so anders war als alle hier. Keiner war so klug und so mutig wie sie. Sie hatte ihn gerettet. Edward dachte an einen Tag zurück, lange bevor Ramis gekommen war, als ein Mann in den 'Salon' trat. Sein Blick fiel auf Edward, der zwischen den Frauen herum lümmelte und er wollte ihn für eine Nacht. Madame nahm das Geld natürlich bereitwillig an und der Mann schleifte ihn grinsend mit. Seine Mutter sah nur tatenlos zu und sagte nicht einmal etwas dagegen. Das war der endgültige Bruch zwischen ihnen. Edward hatte es ihr nie verziehen. Nach einer schrecklichen Nacht weinte der kleine Junge sich am nächsten Morgen die Augen aus. Alles tat so weh. Doch niemand kam, um ihn zu trösten. Es war das letzte Mal, dass er geweint hatte. Seitdem hatte man ihn öfters verkauft, wie eine von ihnen . Aber die Zeit hatte ihn abgebrüht und im selben Atemzug etwas in ihm zerstört.
Der Pirat wurde jetzt sehr wütend und brüllte Madame an. Die wurde blass vor Zorn und ihre Hände ballten sich zu Fäusten, ein sicheres Anzeichen größter Wut. Ihr Gegner suchte Ramis. Er wollte Rache - für den Mann, der Edward in die Holzkammer geschleift hatte. Zum Glück war Ramis noch nicht da. Die Frauen vor ihm tuschelten aufgeregt. Seine Mutter war auch dabei, im Moment nicht einmal betrunken, wie ihm auffiel. Ansonsten gab sie ihr ganzes Geld und auch seins oder das von Ramis, wenn sie es fand, für ein paar neue Flaschen aus. Als der Pirat seinen wartenden Männern das Zeichen zum Angriff gab, kam es für Edward nicht unerwartet. Instinktiv rannte er los, als die Masse aus ungewaschenen Leibern auf die Frauen einstürmte. Das rettete ihm wohl das Leben, denn viele der Frauen, weniger schnell und noch unentschieden, hatten weniger Glück. Durch ihre langen Kleider behindert, erreichten sie die Treppe zu spät. Edward konnte sich ohne große Fantasie denken, was sie erwartete. In der Welt dieses Hauses, die auch seine war, ging es immer nur um das. Ob mit oder ohne Gewalt. Als er sich nach Verfolgern umsah, gewahrte er eine kleine Gruppe von Frauen, die sich jeden Gegenstand geschnappt hatten, der als Waffe verwendet werden konnte. Sie leisteten erbittert Gegenwehr.
Edward rannte weiter nach oben. Aus alter Gewohnheit - und weil er nicht nach unten konnte, schlug er den Weg in sein Zimmer ein. Sobald er darin war, schob er den Riegel vor. Dennoch war ihm klar, dass er hier nicht lange bleiben konnte. Er setzte sich kurz auf sein Bett und überlegte. Er musste aus dem Haus herauskommen. Dazu sollte er auf jeden Fall ein Stockwerk tiefer gelangen. Bevor er jedoch ging, wollte er noch seine angesammelten Schätze mitnehmen. Viel war es ja nicht, zumeist wertlosen Plunder, die wertvolleren Dinge hatte er längst verkauft, aber es war eben alles, was er besaß. Ramis hatte auch nicht mehr, wie er wusste, nur ihren Ring, den sie stets an ihrem Hals trug. Edward sah sich nach einem Beutel um, in den er alles packen konnte. Zwischen Ramis Habseligkeiten, die er rasch durchwühlte, ragte ein Stück rosa Rüschen heraus. Ein Monstrum an Schlafhaube... Die würde sich gewiss gut
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