Dunkle Häfen - Band 2
gewesen, aber wir Piraten sind bodenständige Kerle. Bei uns gibt's nur schlechte Dichter. Trotzdem beeindruckte uns seine Kraft und Zuversicht. Er wirkte allemal königlicher als die ganze Bande am Hof."
Das brachte Ramis zurück nach Kensington Palace, Versailles und Paris. König William und der Sonnenkönig, die beiden Erzfeinde. Der junge Louis, der ihr schüchtern seine Zuneigung geschenkt hatte. Er war ihr um so vieles menschlicher vorgekommen als die anderen, weil er die Maske der Königlichkeit noch nicht besaß. McGregor fuhr inzwischen fort mit seiner Erzählung und unterbrach Ramis Gedanken. Sie fühlte fast ein leises Befremden wegen der offen geäußerten Zuneigung der alten Seebären zu William. Sie sahen in ihm immer noch den Jungen, bewunderten ihn aber auch. Seufzend blickte Ramis zu der hohen Gestalt, die jetzt neben dem Steuermann stand.
"...Und dann haben wir eben weitergemacht. Am Anfang schien es unmöglich. Wie sollten wir auch entern? Irgendwie hat es aber dennoch geklappt. Ich frage mich heute noch, wie. Hatten oft Hunger. Fanny hat versucht, William zu trösten. Vielleicht war es auch anders herum. Mit der Zeit zeigte der Käpt'n seine Gefühle nicht mehr. Auf jeden Fall haben die beiden irgendwann mal was angefangen. Verzeihung, aber das war immer der Grund, warum keine Frauen an Bord sein sollen. Na ja, bei dir war's immer was anderes. Wir alle konnten die Verzweiflung in ihren Gesichtern sehen. Ursprünglich wollte Fanny in ein Kloster gehen, wie William alt genug war. Sie glaubte, dort ein wenig Frieden wiedergewinnen zu können. Aber dann konnte sie nicht mehr weg von ihm. Und sie wurde schwanger. War gleich klar, dass es keine leichte Geburt werden würde. Na ja, sie ist dann daran gestorben. William schwieg sich aus, aber ich glaube, sie wollte es. Das Kind hat er weggebracht. Hätte es sogar fast dem Meer übergeben. Er ist ein harter Mann geworden. Am allerschlimmsten aber hat es ihn getroffen, als sie Blackbeard - unseren Edward - erwischt haben, das hätte ihn fast umgebracht. Eines Tages brachte ein alter Mann ihm einen Brief, als wir gerade in Trinidad lagen. Das war Edwards Testament. Niemand weiß, was darin stand, aber es hat ihn beinahe verrückt gemacht. Brüllte Flüche aufs Meer hinaus und wünschte uns alle zur Hölle. Tut mir leid, das sagen zu müssen, aber in dieser Zeit redete er schlecht von dir. Hasste dich geradezu."
"Ich habe es verdient ", murmelte sie zu sich selbst.
"Dabei konnte es mit Blackbeard kein gutes Ende nehmen. Er schien vom Teufel besessen, das sagten alle. Viele halten ihn noch heute dafür. Nach deinem Verschwinden hat er auch die letzten Hemmungen verloren. Seine Mannschaft lebte Seite an Seite mit dem Tod. Manchmal hat er jemanden erschossen, einfach so und veranstaltet e seine Wettkämpfe, die noch wüster waren als früher. Hat sicher auch zahlreiche Bälger bei seinen leidgeplagten Frauen hinterlassen, von denen er viele hatte... 'Tschuldigung, das willst du sicher nicht hören. Ich weiß..." Hier machte er eine längere Pause.
Ramis fühlte sich, als wäre sie an allem schuld. Sie hatte es weder geschafft, Sir Edwards bösen Geist von Edward fernzuhalten, noch William und Fanny die bitteren Tage zu ersparen.
"William hörte danach auf zu glauben, dass du noch am Leben wärst. Seitdem haben wir es zu Wohlstand gebracht und alles hat sich irgendwie eingerenkt. Viele von uns Alten haben aufgehört. Letztes Jahr haben sie auch Charles Vane und alle anderen aufgeknüpft. New Providence ist kein Heim mehr. Ich denke, wir müssen uns andere Gewässer suchen, hier ist es zu gefährlich. Aber ich bin zu müde geworden für einen Neuanfang. Bin diese Gewässer gewohnt."
Schließlich saßen sie alle brütend da und dachten an die Vergangenheit, ihre wilde Jugend. Das Gehörte hatte Ramis aufgewühlt. Es hatte alte Wunden wieder aufgerissen. Ihr kleiner Edward... Sie kam sich uralt vor, als würde sie bald sterben. Wie im Herbst, wenn das Laub von den Bäumen fiel und die Tiere Nahrung für den Winter sammelten und immer träger wurden...
"Wie soll es denn jetzt weitergehen, Käpt'n?" , fragte einer der Männer. "Ich meine, mit euch beiden? Willst du wieder Pirat werden?"
"Ich weiß nicht, weiß es wirklich nicht."
Mitten in der Nacht klopfte Willia m an die Tür und überreichte Ramis ein Brief.
"V on deinem lieben Freund Fayford", erklärte er unwirsch und reichte ihr ein dickes Bündel. "Ich sollte ihn dir geben."
Aufgeregter, als
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