Dunkle Häfen - Band 2
sie w ollte, setzte sie sich auf einen Stuhl, während sie das Siegel brach und den Umschlag aufriss. Derweil verließ William wortlos das Zimmer. Es befanden sich mehrere Seiten darin, die mit James Handschrift beschrieben waren. Sie fand schnell den Anfang. Es war eine Notiz, die an sie gerichtet war.
Mylady,
wenn du das liest, bist du schon wieder auf See. Deshalb will ich nicht lange stören. Doch es gibt etwas, das du unbedingt wissen solltest. Alles Weitere findest du auf den folgenden Seiten, auf denen ich zusammengefasst habe, was ich über dich und deine Familie herausfand. Die Informationen stammen größtenteils aus den alten Briefen, die mein Vater von seinem Freund Edward empfangen hatte, aber auch von dem, was mein Vater mir vor seinem Tod sagte, denn er war immer der Meinung, man könne nie genug wissen und erfahren. Im Voraus will ich dir sagen: Als ich diese Briefe las, verspürte ich zum ersten Mal so etwas wie Verständnis für das kleine Mädchen und seine Familie, die so gründlich zerstört und die auf eine beispiellose Art in ein internationales Komplott gezogen wurden, mit dem sie nichts zu tun haben wollten.
Ich achtete damals nicht auf diese Rührung, hielt weiter an dem Bild von dir fest, das ich hatte. Aber ich glaube, man kann dich nicht verstehen, wenn man deine Geschichte nicht kennt, die du selbst vergessen wolltest. Wusstest du, dass eine Tat erst vergeben ist, wenn sie auch aus dem Gedächtnis des letzten Mitwissers verschwunden ist? Meistens ist das, wenn alle tot sind... Ist Vergebung also nur eine Illusion?
Du wirst es vielleicht beantworten können.
Leb wohl - oder auf Wiedersehen?
Mehr stand nicht auf diesem Blatt. Enttäuschung erfüllte ihr törichtes Herz. Warum wünschte sie sich jetzt noch eine Beteuerung einer Liebe, die es nicht geben konnte? Es war längst zu spät. Sie nahm die restlichen Seiten zur Hand und vertiefte sich in diesen Ausflug in die Vergangenheit.
Ich erwähnte bereits, dass ich die gesamt e Korrespondenz meines Vaters gelesen habe. Er hat mir alles hinterlassen, zusätzlich zu einem kleinen Notizbuch, in das er in jüngeren Jahren denkwürdige Ereignisse niederschrieb. Auf das, was darin stand, werde ich später zurückkommen. Ich beginne ganz am Anfang.
Ich weiß nicht, ob du deinen Namen und deine Abstammung kennst, aber ich kann dir versichern, dass du noch viel mehr bist als der Abkömmling einer alten irischen Adelsfamilie. Du hast auch mütterlicherseits eine Familie und erst, indem deine Eltern heirateten, kam jene verheerende Mischung zustande, die euch zum Verhängnis wurde. Sie verstrickten sich in einem ungeheuren Netz aus Intrigen und politischen Ränken, in das nicht weniger als drei Könige und zahlreiche Adlige verwickelt waren. Deine Mutter war in diesem Geflecht viel bedeutender, als es den Anschein hatte. Um das Ganze zu entwirren, muss man ins Frankreich des frühen 17.Jahrhundert zurückgehen, ins Jahr 1643. Louis XIII war gerade gestorben und sein minderjähriger Sohn Louis, den du ja noch persönlich erlebt hast, bestieg unter zahlreichen Schwierigkeiten den Thron. Der Kardinal Mazarin und Louis' Mutter, Anne d'Autriche, regierten für ihn. Wenn man sich näher damit beschäftigt, wird einem klar, wie sehr diese ersten Jahre den späteren 'Sonnenkönig' in seinem Tun und seinem ganzen Wesen beeinflusst haben. Die ständigen Anfechtungen, die Rebellionen verschiedener Adliger, er hat es nie vergessen. Eine ebensolche Bedrohung war auch das, womit deine Geschichte anfängt. Es war allgemein bekannt, dass der eben verstorbene König seine Frau immer gemieden hatte und es fehlte nicht an Spekulationen, dass der Thronfolger in Wahrheit der Sohn Mazarins war, dem Geliebten Annes. Was der König glaubte, ist nicht bekannt – übrigens hat dieses Gerücht stets an dem jungen Louis genagt –, doch es steht fest, dass der alte König offensichtlich kurz vor seinem Tod in aller Heimlichkeit – und in geistiger Verwirrung? – sein Testament geändert hat und ein neues entwarf, das sofort nach seinem Tod in Kraft treten sollte.
Es war nun so, dass er offenbar einen unehelichen Sohn mit einer früheren Geliebten hatte, von dem er sich sicher zu sein schien, dass er sein Fleisch und Blut war. Also legitimierte er ihn kurzerhand und erklärte ihn in seinem Testament zum neuen König, wobei er Louis einfach überging. Kommt dir das nicht ein wenig bekannt vor? Ja, denn fast dasselbe ist Louis XIV selbst widerfahren, als es um
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