Dunkle Spiegel
eintreffen. Wieder eine Frau! Wieder brutal ermordet! Hörte das denn nie auf?
Plötzlich klingelte mein Handy.
Ich kramte es aus meiner Jackentasche hervor.
“Ja?”
“Hier Whealer.”
“Chief?”
Eine kurze Pause in der Leitung.
“Ich habe hier einen Anruf für Sie. Nur für Sie!”
“Wer ist es, Chief? Ist es so wichtig? Kann es nicht bis später warten?”
“Es ist Sarah Blicks´ Vater.” entgegnete der Chief gereizt.
“Was will er?”
“Das werden Sie gleich hören. Ich verbinde.”
Keine Wertung, kein Urteil, keine Warnung.
Ich hörte das Rauschen in der Leitung und leise Atemgeräusche am anderen Ende.
“Hallo? Hier ist Detective Crocket. Sie wollten mich sprechen?”
“Ja. Sie wissen, wer hier spricht? Ich bin Sarahs Vater.” Seine Stimme war noch viel klarer und fester, als auf dem Tonband, das seinen letzten Anruf aufgezeichnet hatte. Er war ein verzweifelter Familienvater, der seine Tochter beerdigen muss. Seine schöne, junge Tochter, die auf so grauenvolle Weise aus dem Leben gerissen worden war. In mir krampfte sich alles zusammen. Meine Hand begann zu schwitzen.
“Ich weiß, wer Sie sind.” antwortete ich kurz.
“Sie haben meine letzte Nachricht doch ganz sicher erhalten, oder?”
“Ihre letzte Nachricht? Ja, das habe ich. Ich und jeder aus meinem Team. Und glauben Sie mir, wir verstehen Sie nur zu gut -”
“Das interessiert mich nicht!” schnitt er mir bestimmt, aber keineswegs feindselig, das Wort ab. “Ich hatte Ihnen eine Frist eingeräumt. Diese Frist ist nun um.” Eine Pause trat ein. Ich hörte ihn schwer schlucken.
“Ich weiß. Aber Sie müssen verstehen -”
“Meine Tochter ist tot - das muss ich verstehen. Das ist alles , was ich verstehen muss, zum Teufel. Und es gibt kaum etwas, das schwerer zu begreifen oder zu realisieren ist! Sie hatten eine Frist, um den Mörder meiner Tochter zu fassen. Und ich möchte jetzt nur eine einzige Sache von Ihnen wissen!” Wieder eine kleine Pause. Dann: “Haben Sie ihn?”
Ich zögerte. Sollte ich ihn anlügen? Nein, das kam nicht in Frage. Sollte ich den Kopfgeldjäger sein tödliches Werk vollbringen lassen? JA, schrie mein Herz förmlich! Hatte dieses Schwein es denn anders verdient? NEIN!
“Wir sind auf dem besten Weg, wirklich! Es dauert jetzt nicht mehr lange, und dann -”
“Sparen Sie sich das. Bitte. Dieses Monster läuft noch immer frei herum. Und Sie haben noch nicht einmal eine blasse Ahnung, wer es sein könnte, nicht wahr?”
“Wir arbeiten mit Hochdruck daran, Mr. Blicks!” versuchte ich ihn zu beschwichtigen.
“Wissen Sie was? Soll ich Ihnen ehrlich etwas sagen? Ich glaube Ihnen das sogar! Aber er hat meine Tochter auf dem Gewissen. Und … und wir wissen beide, dass er noch andere, unschuldige Seelen auf dem Gewissen hat! Im Grunde, da bin ich mir absolut sicher, würden Sie sogar das Gewehr oder die Pistole gerne selbst in die Hand nehmen und das tun, was Ihr Herz Ihnen sagt. - Haben Sie Kinder?”
“Nein. Ich habe keine Kinder.”
Ich hörte ein Schluchzen am anderen Ende.
“Kinder sind etwas so Wundervolles. Etwas so Herzliches und Zerbrechliches. Sie sind so unschuldig. Meine Kinder bedeuten mir alles - und jeder Familienvater würde das gleiche sagen!” Ich schwieg und biss mir auf die Lippen, bis ich Blut schmeckte. Ich sah, wie Ramirez sich im Lenkrad festkrallte. Er konnte das Gespräch am Rande mitverfolgen. Die letzten Worte waren so laut ausgesprochen worden, dass er sie auf jeden Fall gehört hatte.
Verdammt - er hatte ja so recht!
Aber ich durfte nicht einfach so hinnehmen, dass sich ein Mann das Recht herausnahm, selbst über einen anderen zu richten!
“Hören Sie. Sie verschlimmern doch die Situation nur noch.” sagte ich in einem sanften Tonfall. “Denken Sie an Ihre Frau. Wenn Sie sich schuldig machen, einen anderen Mann zum Mord angestiftet zu haben -”
“Meine Frau ist tot , Detektive Crocket!” schnitt er mir fast kreischend das Wort ab. “Sie ist tot! Seit drei Jahren. Und bevor Sie mir mit dem Argument kommen, dass der Mörder meiner Tochter doch seine gerechte Strafe bekäme und der Gerechtigkeit zugeführt werden würde, will ich Ihnen noch eines sagen: meine Frau wurde von einem Mann getötet, der sie bei überhöhter Geschwindigkeit vom Highway abgedrängt hat.” Er begann leise zu weinen. “Ein junger Anwalt war er. Ein Anwalt, der einen dringenden Termin hatte. Und wurde dieser Anwalt bestraft? Es war lächerlich, was sich da vor Gericht
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