Dunkle Spiegel
normales Leben, weit weg von allem Ungewöhnlichen und Besonderen. Aber ich weiß, dass auch sie sich insgeheim mehr gewünscht hatte.” Ich hörte, wie er begann, stoßweise und keuchend zu atmen. Und auch seine Stimme klang jetzt schon fast etwas schrill. Ganz offensichtlich hatte ich einen wunden Punkt getroffen, er war erregt.
Weiter so.
Hilf mir, Karl Gumbler.
“Was hat sie sich denn gewünscht? Sie hatte doch eigentlich alles, oder?”
“Sie meinen Geld, Crocket? Ha! Das war es nicht. Wir lebten oberflächlich, wie ich zugeben muss, nicht gerade schlecht. Nein … sie wünschte sich Abenteuer. Sie verspürte manchmal den Drang zu etwas Gefährlichem, Außergewöhnlichem … ja, sogar Verbotenem - in jeder Beziehung. Das wusste ich. Ich bin mir sicher, dass das jede Frau in sich trägt. Aber nur wenige können diese Leidenschaft entfesseln und das Feuer genießen! Ich hatte versucht, ihre inneren Fesseln zu lösen, sie zu befreien. Aber sie ließ es nicht zu. Sie geißelte sich gewissermaßen selbst. Dabei hätte ich ihr so gerne ihre Wünsche erfüllt!”
“So wie den jungen Frauen, die sie so kaltblütig ermordet haben?”
“Oho, jetzt gewinnt das Ganze an Fahrt! Aber so schnell sind wir noch nicht. Das haben sie völlig falsch verstanden, Crocket. Ja, diesen Frauen habe ich ihre Wünsche erfüllt. Ich habe sie dazu verführt, offen ihre Fantasien auszusprechen und ihnen dann angeboten, diese Träume in Erfüllung gehen zu lassen. Wissen Sie, was das für ein Gefühl ist? Können Sie sich diesen Rausch vorstellen, Detective?”
“Was für ein Gefühl meinen Sie?” gab ich zurück.
Ich näherte mich wieder seiner Position.
“Dieses Gefühl, das Sie durchströmt, wenn sich eine Frau ganz und gar vor Ihnen entblättert. Und ich meine das nicht nur körperlich, sondern rein geistig. Spirituell. Sexuell. Ja, diese Frauen wussten insgeheim eigentlich ganz genau, was ihnen fehlte, was ihnen gefallen würde, was sie heiß machen würde, was sie erregte. Aber ihnen fehlte einfach die Umsetzung ihrer Träume in die Realität. Und nichts ist schlimmer als ein Wunsch, der sich nicht erfüllt.”
“Aber Wünsche geben uns auch Kraft. Sie stellen den Antrieb dar, den wir brauchen, um an uns selbst zu wachsen, um neue Horizonte zu erreichen. Nur mit unserer Entwicklung kommen wir dem Ziel, unsere Träume zu verwirklichen, näher. Und jeder braucht ein Ziel in seinem Leben, auf das er hinsteuern kann, zu dem er streben kann!”
An mir war ein Philosoph verloren gegangen.
“Wünsche geben Kraft? Das kann auch nur ein so einfach denkender Mensch wie Sie glauben! Unerfüllte Sehnsucht ist wie ein gefräßiges Feuer, das uns langsam von innen heraus verzehrt, bis nichts weiter als die verbitterte und deprimierte Hülle übrig bleibt, die auf die schmerzvollste Art erkennen muss, dass sie umsonst gelebt hat!” Er holte ein paar Mal japsend Luft, bevor er weitersprach: “Diese unbefriedigten Frauen verzehrten sich nach jemandem, der sie in ihrer Sehnsucht erlöste. Und dieser jemand - war ich !” rief Gumbler triumphierend aus.
“Sehr schön! In einem anderen Zusammenhang könnte man das ja fast schon romantisch nennen.”
“Romantisch? Nichts liegt mir ferner! Nein, mit Romantik, das muss ich gestehen, hatte das nicht das Geringste zu tun. Hier ging es um ganz andere Gelüste. Körperliche Begierden, die nicht jeder zu befriedigen vermag. Nur wersich selbst völlig öffnen und alle Fesseln ablegen kann, nur der kann die höchsten und süßesten Sphären der Lust erreichen.”
“Sie umschreiben ihre Taten mit schönen, fast lyrischen Worten. Sie ummanteln sie mit einem Schleier der Unschuld, so dass Sie selbst fast schon heroisch und aufopfernd wirken. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass Ihre Taten alles andere als lyrisch oder poetisch waren!”
Gumbler lachte heißer, fast schon etwas irre. “Sie können es nicht, Crocket. Sie können es einfach nicht, oder? Sie gehören auch zu denen , nicht wahr?”
“Was meinen Sie?” erwiderte ich gereizt.
Plötzlich durchzuckte mich ein stechender Schmerz von der Handinnenfläche bis zu den Haarwurzeln.
Ein kurzer, rostiger Nagel.
Scheiße!
Ich zog ihn mit einer schnellen Bewegung aus meinem Fleisch! Jetzt nur nicht schreien! Aber ich hätte brüllen können!
“Sie können die Sachen nicht beim Namen nennen, das meine ich natürlich! Sie konnten mir von Anfang an nicht die richtigen, direkten Fragen stellen, die sich in ihr Hirn gegraben haben
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