Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Straße mit verfallenen Häusern hinter einem kaputten Hafendamm, auf dem Trümmer und Balken lagen. Die Rückseiten der Häuser waren fast gänzlich überwuchert von wildem Gestrüpp, Brombeer, Nesseln, Efeu, Haselnuss und Weißdorn. Vorne, vor den ehemaligen Haustüren, türmten sich Felsbrocken,
die im Lauf der Jahre bei Unwetter immer näher herangeschwemmt worden waren.
Ich war überwältigt. Am meisten beeindruckte mich allerdings das Haus rechts unter mir, das direkt aufs Meer hinausblickte. Es war mit massiven Steinplatten gedeckt und umgeben von einem riesigen Grundstück: auf der einen Giebelseite lauter Bäume, die von einer hohen Mauer umschlossen waren, auf der anderen eine Scheune aus Stein und ganz hinten eine Reihe von Schuppen, die zusammen mit der Scheune den großen Garten einrahmten. Die Wellen schienen jetzt, bei Flut, fast bis ans Haus heranzutanzen. Die Anhöhe, auf der ich stand, ging bis zu dem Gelände hinunter, doch es gab keinen direkten Weg von hier nach dort. Schließlich erspähte ich rechts von mir zwischen den wuchernden Hecken am Rand von zwei verwilderten Feldern einen Weg, eine tiefe, grasbewachsene Wagenspur, die am Gartentor endete. Ich lief die Anhöhe hinab zu diesem Feldweg und folgte ihm bis zum Haus. Mit jedem Schritt wurde das Meeresrauschen lauter, und als ich an den Schuppen und der Scheune vorbei war, stand ich knapp zwanzig Meter entfernt von den grünen Wellen mit ihren weißen Schaumkronen, die gegen die schwarz schimmernden Felsen schlugen.
Dann wandte ich mich dem Haus zu, in dem meine Mutter und Min aufgewachsen waren. Dem Haus, das mein Vater mir an jenem Makrelen-Abend gezeigt hatte.
Um zur Haustür zu gelangen, musste ich über die Felsbrocken klettern, die auch hier bei Sturm angeschwemmt worden waren. Ich kämpfte mich etwas ungeschickt zwischen den Brennnesseln hindurch und schützte meine Hände, indem ich meine Tasche vor mich hielt. Mit dem Mut der Verzweiflung riss ich den Brombeerstrauch weg, der die Tür versperrte, und trampelte darauf herum, bis er flach auf dem Boden lag. Das Holz der Tür war morsch und verwittert, doch das Schlüsselloch war mit uraltem Dreck verstopft, der so hart war wie Stein. Also nahm ich meine
Nagelschere und stocherte mit der Spitze darin herum. Die ganze Zeit murmelte ich dabei: »Oh, bitte, bitte!« Und ich schaffte es tatsächlich, den verkrusteten Schmutz herauszupulen. Schließlich spuckte ich auf den Schlüssel, bis er ganz glitschig war, steckte ihn ganz langsam und mit angehaltenem Atem ins Schlüsselloch und machte die Augen zu.
Der Schlüssel ließ sich drehen, und ich hörte, wie das Schloss klickte. Was für ein herrliches Geräusch. Danke, danke! Ich sank zu Boden, weil meine Knie so zitterten, dass ich mich einfach nicht länger auf den Beinen halten konnte.
Nach einer Weile rappelte ich mich aber wieder auf und drückte mit aller Kraft gegen die Tür, indem ich immer wieder mit der Hüfte ausholte. Ich schaffte es, die Tür gerade weit genug zu öffnen, dass ich mich hindurchquetschen konnte. Ein Haselnussstrauch versperrte den Eingang. Er war zwischen den zerbrochenen Steinplatten des Fußbodens gewachsen und reckte sich dem trüben Licht entgegen, das durch ein fleckiges Fenster fiel. Entschlossen packte ich ihn und zog und zog. Ich wollte unbedingt, dass Licht und Luft ins Haus strömten, doch das ging erst, wenn ich die Tür weit öffnen konnte. Der Strauch war hartnäckig. Also quetschte ich mich wieder nach draußen und suchte in dem Schutt am Strand nach einem Stein mit einer scharfen Kante. Mit diesem Stein ging ich zurück und lockerte die Wurzeln des Strauchs – ähnlich wie unsere Steinzeitvorfahren es wohl mit ihren Werkzeugen aus Feuerstein getan haben. Wie ein Kind, das geduldig spielt. Es dauerte nicht lange, bis ich den Strauch herausziehen und zur Seite werfen konnte. Mit dem Fuß kickte ich heruntergefallenen Gips und Schmutz weg, und dann – ganz bedächtig und immer wieder Dreck wegkratzend, um ein zentimeterweises Vorankommen zu ermöglichen – drückte ich die Tür auf, und Sonnenlicht flutete in den Raum, der länger als ein halbes Jahrhundert im Dunkeln gelegen hatte.
Ich lachte laut. Du bist jetzt schon völlig verändert, sagte ich stolz zu mir. Es war nicht zu übersehen, dass niemand dieses Haus betreten hatte, seit es einst verlassen wurde. Der nächste Nachbar war meilenweit entfernt. Aber trotzdem – hatte es je in meinem Leben eine Situation gegeben, in der ich
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