Dunkle Umarmung
auf Mama, und sein Lächeln wurde strahlender, und sie lächelte ihn an, ehe sie sich an mich wandte.
»Tony möchte dich als Modell für die allererste Puppe haben, und er möchte die Puppe selbst anfertigen«, erklärte Mama.
»Mich?« Ich sah von einem zum anderen. Auf Mamas Gesicht stand noch das zarte, zufriedene Lächeln. Tonys Augen waren jetzt schon mit der Intensität eines Künstlers auf mich gerichtet. »Warum denn mich?«
»Einmal«, begann Tony, »weil ich mit diesen Puppen zuerst junge Mädchen ansprechen möchte. Keine kleinen Mädchen«, fügte er schnell hinzu, »sondern junge Mädchen, Teenager. Sie stellen den weitaus größten Absatzmarkt für die Porträtpuppen dar, vermute ich. Kleine Mädchen sind noch nicht alt genug, um die handwerkliche Meisterschaft würdigen zu können, die in dieser Arbeit steckt, aber noch wichtiger ist, daß sie nicht so vernarrt in ihr eigenes Spiegelbild sind und sich auch nicht so viele Gedanken über ihr Aussehen machen wie ein Teenager.«
»Aber ich verstehe es immer noch nicht. Warum denn ausgerechnet ich?« fragte ich. Tony schüttelte den Kopf.
»Ist es nicht wunderbar, Jillian, daß sie so bescheiden ist?«
Mama sah mich an und blinzelte mir zu, als sähe sie darin eine gespielte Scheu.
»Tony hält dich für etwas ganz Besonderes, Leigh, und der Meinung bin ich auch«, sagte Mama.
»Du hast ohnehin schon ein Puppengesicht«, fügte Tony hinzu. Ich schüttelte den Kopf. »O doch, das hast du, Leigh.
Halte an deiner Bescheidenheit fest, wenn du möchtest, aber warum sollte ich mich auf die Suche nach dem richtigen Mädchen machen, wenn hier unter meinem Dach das perfekte Mädchen lebt?
Ich werde den besten Fotografen der Stadt beauftragen, Aufnahmen von deinem Gesicht zu machen, viele Aufnahmen, bis wir uns für die beste entschieden haben, und dann werde ich dieses Bild neben der ersten Puppe aufstellen, die ebenfalls dein Gesicht tragen wird. Alle meine Kunden verstehen dann, was eine Porträtpuppe ist, und sie werden eine von sich haben wollen. Dein Bild wird in all meinen Schaufenstern hängen…
überall«, kündigte er an.
Diese Vorstellung ließ mein Herz schneller schlagen. Was sagten meine Freundinnen wohl dazu? Ich wußte, daß sie alle neidisch auf mich sein würden, aber Tony hatte wahrscheinlich recht – jede würde eine Puppe von sich selbst haben wollen.
Ich lehnte mich zurück und dachte darüber nach – eine Puppe mit meinem Gesicht.
»Ich bin stolz darauf, daß Tony dich als Modell haben möchte«, flötete Mama. Ich sah sie einen Moment an. Warum wollte Tony der ersten Puppe nicht Mamas Gesicht geben? Sie sah doch immer noch so jung aus und hatte ein perfektes Gesicht. Was mich zudem noch wunderte war, daß Mama nicht eifersüchtig war. Sie schien froh über Tonys Wahl zu sein.
Dann dachte ich, Mama hätte ohnehin nie in so etwas eingewilligt. Es wäre ihr verhaßt gewesen, stundenlang dazusitzen, während Tony sie malte. Oder ging es gar um mehr?
»Was muß ich dafür tun?« fragte ich.
Tony lachte.
»Einfach nur du selbst sein, sonst gar nichts, ganz und gar du selbst.«
»Was heißt das alles?« fragte ich mit einer atemlosen Stimme, die fast wie ein Flüstern herauskam. Tony sah Mama an, und sein Lächeln verflog. Ihre Augen legten ihren zarten, zufriedenen Ausdruck ab und wurden innerhalb von kürzester Zeit zornig.
»Das heißt, daß du Modell stehen wirst, Leigh. Warum stellst du dich plötzlich so dumm? Du wirst das Modell eines Künstlers sein.«
»Aber sind die Modelle eines Künstlers nicht im allgemeinen… Aktmodelle?« fragte ich furchtsam.
Tony lachte, als hätte ich etwas Albernes gesagt.
»Natürlich«, erwiderte er gelassen. »Es geht um die Kunst, und wie ich schon sagte, wird diese Puppe eine Miniaturausgabe von dir sein.«
Ich schluckte schwer. Ich sollte irgendwo nackt in einem Raum stehen, während Tony ein Bild von mir malte, ein Bild, das jeder sehen konnte?
»Schließlich ist Tony doch kein Fremder«, meinte Mama kopfschüttelnd und lächelte. »Er gehört doch jetzt zur Familie.
Ich würde ablehnen, wenn es ein anderer täte«, fügte sie noch hinzu.
»Und du brauchst nicht zu glauben, daß wir nicht absolut professionell vorgehen«, versicherte Tony. »Nur weil ich der Vorstand und Direktor meiner Firma bin, heißt das noch nicht, daß ich kein Künstler bin. Alle Tattertons waren Künstler.«
Als ich nichts dazu sagte und die Stille sich in die Länge zog, sprach Tony weiter.
»Als
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