Dunkles Fest der Leidenschaft
Schweigen. Die harten Linien in Mikhails Gesicht milderten sich. »Vielleicht ist diese Weihnachtsfeier genau das, was ich brauche, um meinen Glauben wiederzufinden, Desari.« Er rieb sich nachdenklich den Nasenrücken. »Sollte Josef beschließen, uns seine Version eines Weihnachtsliedes vorzutragen, möchte ich dich bitten, dass du freiwillig anbietest, den Gesang zu übernehmen. Ist es möglich, den Jungen mit deinen tanzenden Tönen zu knebeln?«
»Josefs Ruf eilt ihm weit voraus«, stellte Desari mit einem Lachen fest. »Er scheint es ja faustdick hinter den Ohren zu haben.«
»Sagen wir einfach, dass ich Byron und Antonietta nicht um ihre Aufgabe beneide, den Jungen an der Kandare zu halten. Es heißt, dass er sehr intelligent, aber nicht übermäßig eifrig ist, wenn es darum geht, die karpatianischen Fähigkeiten auszubilden. Ich glaube, dass er verwöhnt ist und zu viel Umgang mit menschlichen Kindern haben durfte – so viel, dass er seine Pflicht unserem Volk gegenüber vergessen hat.«
Julian zwinkerte Desari angesichts der Strenge in Mikhails Stimme verstohlen zu. Als Kind hatte er genau diesen Tonfall sehr oft zu hören bekommen. »Er wird zu einem guten Mann heranwachsen«, versicherte Julian ihm. »Vielleicht nicht zu einem Jäger, aber unsere Gesellschaft muss sich verstärkt mit dem Fortschritt der modernen Zeit auseinandersetzen. Wir brauchen Männer, die sich mit geschäftlichen Belangen und den bildenden Künsten und vor allem mit den Wissenschaften befassen.«
»Ich zweifle nicht daran, dass Josef in allem, womit er sich beschäftigt, Erfolg haben wird«, bemerkte Mikhail trocken. »Aber der Rest von uns wird seine Jugend vielleicht nicht überleben.«
»Mir scheint, dass Gregori das Gleiche über mich zu sagen pflegte, und zwar sehr oft.« Julian, dessen eigenartig gefärbte Augen wie Gold glänzten, grinste ihn an. »Der Mann braucht mehr Sinn für Humor. Und jetzt bin ich sein Schwager. Das Schicksal kann einem manchmal seltsame Streiche spielen.«
Ein langsames Lächeln erhellte Mikhails Gesicht. »Ich muss gestehen, Julian, dass ich daran überhaupt nicht gedacht habe. Dein Schwager und mein Schwiegersohn. Und in meiner Eigenschaft als guter alter Schwiegervater finde ich, es ist an der Zeit, dass der Mann einige Familienpflichten übernimmt. Er wird heute Abend den perfekten Weihnachtsmann abgeben.«
Julians Augenbrauen schossen in die Höhe. »Mein Prinz.« Er verbeugte sich tief. »Dir gebührt der Meistertitel in dem Spiel, das wir so oft mit dem Dunklen treiben.«
Desari schaute von einem zum anderen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du Gregori wirklich auffordern willst, den Weihnachtsmann zu spielen, und wenn Julian dafür ist, kann es nicht gut sein.«
»Wie ich sehe, kennt sie dich sehr gut, Julian«, stellte Mikhail fest.
Desari legte ihren Kopf an die Brust ihres Gefährten. »War er bei euch als Halbwüchsiger ein schlimmer Junge? Wundern würde es mich nicht.«
Mikhail schüttelte den Kopf. »Unabhängig. Vorlaut. Er war wissbegierig und kannte kaum Furcht. Aber nein.« Er runzelte die Stirn. »Es gab da einen jungen Burschen, ein paar Jahre älter als Julian, auf den Gregori ständig ein Auge haben musste. Er war viel schlimmer, als Josef es sich je träumen lassen könnte. Er stellte jede Autorität infrage.«
»Ich erinnere mich an ihn«, sagte Julian. »Schon in seiner Jugend war er unglaublich im Umgang mit Waffen. Tiberiu Bercovitz. Ich habe seit Jahrhunderten nichts von ihm gehört oder auch nur an ihn gedacht. Kommt er zu der Feier? Er war ein guter Freund von Dimitri.«
Julians Stimme war nichts anzumerken, aber Mikhail fiel das kurze Aufflackern von Wachsamkeit in den Augen des Jägers auf. Der Mann rückte fast unmerklich näher an seine Gefährtin heran.
»So weit ist es mit uns gekommen«, murmelte Mikhail. »Wir können unseren Freunden nicht mehr vertrauen, Männern, die ihr Leben der ehrenvollen Pflicht geweiht haben, Karpatianer und Menschen zu retten. Unseren besten Jägern begegnen wir mit Misstrauen.«
»So haben wir schon immer gelebt«, bemerkte Julian.
Mikhail schüttelte den Kopf. »Es ist lange her, Julian, doch es gab eine Zeit, in der wir in völligem Einklang mit der Natur lebten. In unserer Welt herrschten Frieden und Harmonie, und Feste wie das heutige wurden oft gefeiert.«
»Und heute wird wieder gefeiert«, erinnerte Desari ihn. »Ein einzigartiges Treffen, bei dem alle Karpatianer aufgerufen sind, die Freundschaften
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