Dunkles Feuer
würdigen, zur Tür hinaus.
So ähnlich spielte es sich auch in den nächsten armseligen Hütten ab. Elisabeth kannte die Namen der Männer und Frauen, die sie besuchte, und oft auch einige der Kinder. Sie schien an ihrem Leben regelrecht Anteil zu nehmen. Sie wusste, was sie bedrückte und worauf sie sich freuten. Und sie hatte auch absolut keine Angst, weder vor dem Schmutz und dem Gestank noch vor den Menschen selbst. Damit unterschied sie sich völlig von den ihm bis dahin bekannten Frauen, die ihre Barmherzigkeit zwar hoch anpriesen, die aber kaum ein Wort mit einem Armen wechseln würden. Ihre Mildtätigkeit beschränkte sich meist nur darauf, von ihrer Dienerin einige Almosen verteilen zu lassen. Gewiss wären sie schreiend weggerannt, wenn einer dieser Menschen versucht hätte, sich ihnen zu nähern.
Als Frederik Elisabeth darauf ansprach, hielt sie überrascht inne. »Aber warum sollte ich denn Angst vor ihnen haben? Sie sind doch keine wilden Tiere!«
Frederik wurde mit einem Schlag bewusst, dass er zwar nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet hatte, er aber unbewusst die Armen auf einer anderen Stufe als sich selbst sah. Diese Gedanken schienen sich deutlich auf seinem Gesicht abgezeichnet zu haben, denn Elisabeth setzte zu einer ironischen Erwiderung an. »So unglaublich es sich für Euch auch anhören mag, Earl, es sind tatsächlich Menschen. Sie mögen vielleicht nicht so gebildet sein wie wir, und ihre Hauptsorge ist wohl eher, wie sie den nächsten Winter überleben und nicht am amüsantesten verbringen können. Doch dies macht sie nicht weniger zu Menschen als uns. In manchen Fällen sogar eher mehr. Auch sie haben Gefühle, Ängste und sogar Träume. Ich habe dies erkannt, als ich mir die Mühe gemacht habe, sie kennen zu lernen.«
Da Frederik nicht wusste, was er darauf erwidern sollte, fragte er sie einfach, warum sie die scheinbar wohlhabenderen Häuser ausließ und nur die schäbigsten Katen besuchte.
»Alle wissen, dass ich heute hier bin, Earl. Wenn jemand etwas auf dem Herzen hat, steht es ihm heute selbstverständlich frei, mich einfach anzusprechen. Ich selbst besuche nur diejenigen, von denen ich weiß, dass sie meine Hilfe dringend brauchen. Es wäre falsch, meine Hilfe den Menschen aufzudrängen, die sie gar nicht benötigen.«
»Das ist aber eine interessante Definition von Barmherzigkeit, Lady Elisabeth.«
»Das ist die einzig mögliche Definition, Earl. Ich kann nicht alle diese Menschen aus ihrem derzeitigen Leben herausholen. Und ich bin sicher, sie wollen es auch nicht. Es mag Euch überraschen, Earl, aber nicht alle Menschen brauchen ein Schloss, um glücklich zu sein. Ich kann den Menschen hier soweit helfen, dass sie aus eigenem Antrieb vorankommen können. Ich kann und ich will keinem hier das Arbeiten oder das Denken abnehmen. Doch ich kann den Bedürftigen dabei helfen.«
»Ihr habt äußerst interessante Ansichten, Mylady. Ich würde gern erfahren, wer sie Euch beigebracht hat.«
»Dann seht Euch hier um, Earl. Seht Euch einfach hier um.«
Als sie seinen verständnislosen Blick bemerkt hatte, setzte sie zu einer Erklärung an.
»Als ich etwa 12 Jahre alt war, bin ich dem Reitknecht davon geritten. Dann bin ich in dieser Gegend hier von einem Gewitter überrascht worden. Mein Pferd scheute vor einem Blitz und warf mich ab. Beim Sturz hatte ich mir den Knöchel verstaucht, und als ich mich aufgerappelt hatte, war das Pferd schon weg. So stand ich allein, nass und kalt da, konnte kaum gehen, und es wurde zunehmend dunkel. Zum Glück haben einige Männer, als sie von der Feldarbeit nach Hause gingen, mein Pferd gesehen und mich gesucht. Als ich sie dann vor mir sah, fühlte ich mich in noch größerer Gefahr als vorher. Sie waren schmutzig, nass und stanken trotz des Regens. In Panik versuchte ich wegzulaufen, doch ich kam nicht weit mit meinem schmerzenden Knöchel. Ich stürzte, und bald darauf hatten sie mich eingeholt. Ein riesiger Mann hob mich ganz leicht in seine Arme, und trotz seiner Kraft und meiner Hilflosigkeit lächelte er mich schüchtern an. Er hatte Angst vor mir, Angst davor, etwas zu tun, das mir nicht gefiel, denn ich war die Tochter des Grafen. Er brachte mich in seine Hütte, seine kleine, dunkle, stinkende Hütte, die er mit seiner Frau und seinen vier Töchtern bewohnte. Die Mädchen waren noch klein und konnten ohnehin nicht so gut wie die Jungs auf dem Feld mitarbeiten. Deswegen war die Familie arm, ärmer als manch andere im Dorf. Trotzdem hatte
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