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Éanna - Ein neuer Anfang

Éanna - Ein neuer Anfang

Titel: Éanna - Ein neuer Anfang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Britt Harper
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am Abend das Gefühl, Blei in den Beinen zu haben. Doch bei Regen wurde das Auf- und Ablaufen auf den Straßen zu einer Tortur, die in keinem Verhältnis zu dem mageren Verdienst stand. Immer wieder mussten sie für eine Weile in einem Tordurchgang Unterschlupf suchen und waren doch bald bis auf die Haut durchnässt.
    Es waren elende Tage, die den Mädchen aufs Gemüt schlugen und ihnen Angst vor der Zukunft in ihrer neuen Heimat machten. Denn kaum ein Passant nahm sich bei diesem Wetter die Zeit, auch nur für einen Moment stehen zu bleiben und nach einer Münze in seinen Taschen zu kramen. Jeder sah zu, dass er stattdessen so schnell wie möglich an sein Ziel kam. Und wer dennoch Mitleid zeigte und Streichhölzer auf der Straße kaufte, der tat es bei einem jener erbarmungswürdigen Kinder, die ohne Schuhe und Mantel unterwegs waren und in ihren durchnässten Lumpen zitternd an den Straßenecken standen.
    »Das mit dem Verkauf von Streichhölzern wird nie etwas Richtiges«, sagte Éanna niedergeschlagen, als sie sich am späten Samstagnachmittag auf den Heimweg nach Five Points machten. »Damit hätten wir erst gar nicht anfangen sollen, auch wenn es am Anfang noch so vielversprechend ausgesehen hat!«
    Auch Emily ließ den Kopf hängen, versuchte dann aber, sich selbst und der Freundin Mut zu machen: »Die letzten Tage waren wirklich übel. Aber jetzt hat der Regen ja endlich aufgehört und die meiste Zeit wird es hier im Sommer doch wohl trocken bleiben.«
    »Und wennschon! Wir sehen einfach noch nicht elend und bedürftig genug aus, um Tag für Tag mindestens zwanzig Streichholzpäckchen zu verkaufen«, schimpfte Éanna. »Gegen die vielen anderen Hungerleider auf den Straßen wirken wir ausgesprochen gesund und sauber. Und erst gestern haben sie in der Zeitung geschrieben, dass die Zahl der Kinder zwischen sechs und sechzehn, die keine Angehörigen mehr in der Stadt haben oder ihren prügelnden und versoffenen Eltern davongelaufen sind, mittlerweile zwischen zwanzig- und vierzigtausend liegt!« Wie so viele andere Einwanderer hatte Éanna es sich in den letzten Wochen angewöhnt, regelmäßig eine der vielen New Yorker Tageszeitungen zu lesen, und sie verfolgte die Nachrichten aus ganz Amerika inzwischen mit großem Interesse.
    »Würde mich auch nicht wundern.«
    »Machen wir uns nichts vor, Emily. Auf diese Weise werden wir es nie zu einem halbwegs anständigen Lohn bringen«, fuhr Éanna nüchtern fort. »Und vergiss nicht, dass die Winter in New York länger und eisiger sein sollen als bei uns zu Hause! Willst du dann etwa bei Eis und Schnee und bitterkaltem Wind von morgens bis abends über die Straßen ziehen? Ich nicht! Da hätten wir auch gleich in Dublin bleiben können! Und wären in der Garnfabrik und als Tugger auf den Landstraßen ganz sicher erfolgreicher gewesen als hier mit dem Verkauf von elendigen Streichhölzern!«
    Emily seufzte. »Das stimmt. Die Plackerei hat sich in Dublin besser bezahlt gemacht als hier. Und den ganzen Winter über auf der Straße zu sein, also das kann ich mir auch nicht recht vorstellen.«
    Éanna schüttelte entschlossen den Kopf. »Das werden wir auch nicht! Am Montag gehen wir noch einmal neu auf die Suche nach Arbeit, und zwar nach einer, von der man leben kann. Denn ich möchte nicht, dass wir allein von Brendans Verdienst abhängen.« Und als sie den verblüfften Blick ihrer Freundin sah, fügte sie schnell noch hinzu: »Verstehe mich nicht falsch. Ich liebe ihn. Aber ich möchte einfach selbst für mich sorgen können, genau wie in Dublin! Für alles andere ist später noch Zeit genug!«
    »Du meinst fürs Heiraten und Kinderkriegen?«, fragte Emily ein wenig spöttisch.
    »Ja, dafür auch«, antwortete Éanna ausweichend.
    Emily grinste. »Ich muss zugeben, dass ich es mir im Moment auch wirklich nicht vorstellen kann, wie du als brave Hausfrau einen Stall voll Kinder hütest! Dafür bist du viel zu umtriebig und einfallsreich. Du kannst doch gar nicht anders, als jede Herausforderung anzunehmen, die sich dir bietet, oder? Und du schaffst es ja alles auch immer irgendwie – so wie du zum Beispiel in Dublin als Tugger durchgehalten hast!«
    Éanna drückte die Freundin an sich. »Genauso wie du in dieser elendigen Tuchspinnerei, Emily. Ich würde sagen, wir sind eben beide ganz schön dickköpfig. Und wissen, wofür es sich lohnt zu kämpfen. Solange man ein Ziel vor Augen hat, kann man alles schaffen, daran glaube ich fest.«
    »Und welches Ziel hast du vor

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