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EB1021____Creepers - David Morell

EB1021____Creepers - David Morell

Titel: EB1021____Creepers - David Morell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Morrell
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verlassen«, antwortete Balenger.
    Er schaltete das Funkgerät aus und schob es in seinen Ruck‐
    sack. Die Brechstange steckte er ebenfalls hinein. Zu Amanda
    gewandt, sagte er: »Ich komme zurück, sobald ich kann.«
    Aber er bewegte sich nicht, konnte sich nicht von ihr ab‐
    wenden. Beide verspürten den gleichen Impuls. Sie legten die
    Arme umeinander.
    Balenger versuchte, aus ihr Kraft zu schöpfen; sie würde
    vielleicht der letzte ihm wohlgesinnte Mensch sein, den er je‐
    mals sah. Die Gefühle sprengten ihm fast die Brust, als er den
    Fensterladen zur Seite schob. Der Regen peitschte auf ihn he‐
    rab. Bevor er sich auf das Dach hinunterließ, sah er noch ein‐
    mal zurück in die Küche. Er sah Amanda auf den Boden sin‐
    ken und Vinnies Kopf in ihren Schoß ziehen. Die grün gefärb‐
    ten Ratten bildeten an den Wänden des Raums einen Halb‐
    kreis. Sie zielte mit der Wasserpistole. Er verlagerte sein Ge‐
    wicht auf das Dach und schloss den Laden.
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    Der Wind drohte, ihm die Luft aus den Lungen zu saugen, als
    er sich bis zu dem Entlüftungsrohr vorarbeitete. Bei jedem
    Schritt fürchtete er, wieder durch den Dachbelag zu brechen.
    Bis auf die Knochen durchnässt, betrachtete er die regenge‐
    peitschten Pfützen – dort, wo das Wasser sich sammelte, wür‐
    de das Dach am schwächsten sein. Aber die nächste schwam‐
    mige Stelle, auf die er traf, war eine Erhöhung, die sich als Bla‐
    se im Dachbelag herausstellte. Er trat zurück und umrundete
    sie.
    Ein Blitz krachte in die Spitze der Pyramide. Das Geräusch
    erinnerte ihn an die Detonation eines Artilleriegeschosses.
    Trotz des Bedürfnisses, sofort in Deckung zu gehen, zwang er
    sich zur Ruhe. Regen behinderte die Sicht auf das Rohr. Er
    warf das Seil darüber und zog daran, um die Festigkeit zu
    prüfen. Das Seil war für Bergsteiger gedacht; es hatte die stan‐
    dardisierte Länge von fünfzig Metern – jetzt waren es noch
    fünfundzwanzig, weil er das Seil um das Rohr herum gedop‐
    pelt hatte. Es war dünn und leicht, dabei aber außergewöhn‐
    lich stark; die Polyesterhülle schützte einen Kern aus Seidenfa‐
    sern.
    Rick hatte ihn nach seinen Erfahrungen mit Höhen und Sei‐
    len befragt. Balenger hatte eine harmlos klingende Erklärung
    gebraucht und deshalb gesagt, er sei Hobbykletterer.
    In Wirklichkeit stammte seine Vertrautheit mit Seilen von
    seiner Ausbildung als Ranger her. Er verknotete das Seil einen
    guten Meter von den Enden entfernt. Der Knoten würde ihm
    anzeigen, wann er das Ende erreichte. Er warf das verknotete
    Ende über die Dachkante. Er stellte sich über das Seil und zog
    es hinter sich nach oben und über die rechte Hüfte. Er legte es
    sich über die Brust, über die linke Schulter und den Rücken
    hinunter, wobei er darauf achtete, dass die Jacke als Polster
    diente und das Seil sich nicht in seinen Hals einschneiden
    würde. Er packte den vorderen Teil des Seils mit der linken
    Hand, während er mit der Rechten nach dem Abschnitt hinter
    und unter ihm griff. So würde sein eigener Körper als Bremse
    dienen.
    Irgendwann hatte er seine Handschuhe verloren. Jetzt ris‐
    kierte er Verletzungen an den Händen. Er bemühte sich um
    Optimismus – die Handschuhe wären vom Regen glitschig
    gewesen; unter den gegebenen Umständen war nackte Haut
    vielleicht sicherer.
    Gut so. Positiv denken. Immer das Gute an der Sache sehen.
    In grün eingefärbter Dunkelheit.
    Es wird nur schlimmer, dachte er. Aber zugleich überrasch‐
    ten ihn seine eigenen Empfindungen. Plötzlich war das Golf‐
    kriegssyndrom, das er von seinem Einsatz bei der Operation
    Desert Storm mitgebracht hatte, eine so ferne Erinnerung, dass
    es kaum noch Wirklichkeit zu sein schien. Die posttraumati‐
    sche Störung nach seiner Beinahe‐Enthauptung belastete ihn
    nicht mehr. Nach der Hölle der vergangenen sechs Stunden,
    nach so vielen Toten, nachdem er die Leiche seiner geliebten
    Frau entdeckt hatte, spürte er, wie eine grimmige Wut ihn
    überkam. Sie war so überwältigend, so machtvoll, dass sie
    keinen Raum für Furcht ließ. Vinnie brauchte ihn. Die Frau,
    die seiner Frau glich, verließ sich auf ihn. Auf sie kam es an.
    Ronnie zu bestrafen, daraufkam es an. Er prüfte das Seil ein
    letztes Mal; dann trat er rückwärts über die Dachkante.
    Schwankend ließ er das Seil hinter sich durch die rechte Hand
    gleiten, während er mit der linken Hand den Abschnitt vor
    ihm festhielt. Das Seil bewegte sich um seinen Körper

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