Ecstasy: Drei Romanzen mit chemischen Zusätzen (German Edition)
Augen. Sie fühlte sich ganz leicht, schläfrig und unkonzentriert in der Hitze. Sie kämpfte nicht länger dagegen an, sondern ließ es zu, dass ihr das schwere Manuskript aus der Hand glitt und mit einem fetten Plumps auf den gläsernen Couchtisch fiel. Die erste Seite trug die Überschrift:
OHNE TITEL– ERSTE FASSUNG
(Miss-May-Regencyroman Nr. 14)
Eine dunkle Wolke schob sich drohend vor die Sonne und löste Rebecca aus dem Zauberbann. Sie nutzte die Gelegenheit, um einen verstohlenen Seitenblick auf ihr Spiegelbild im nun verdunkelten Glas der Zwischentür zu werfen. Das löste eine kurze Welle von Selbstekel aus, ehe sie sich vom Profil in die Frontalansicht wendete und die Wangen einsog. Ihr neues Erscheinungsbild ließ das des unter dem Kinn hängenden, schlaffen Fleischs so gründlich vergessen, dass Rebecca es gerechtfertigt fand, sich eine kleine Belohung zu gönnen.
Perky war ganz in seine Gartenarbeit versunken, oder tat zumindest so. Die Navarros beschäftigten einen Mann für den Garten, der seinen Pflichten gewissenhaft und professionell nachkam, aber Perky fand immer einen Vorwand, nach draußen zu gehen und ein wenig zu werkeln. Er behauptete, es helfe ihm beim Denken. Rebecca hatte sich nie, beim besten Willen nicht, vorstellen können, was ihr Ehemann zu denken haben mochte.
Obwohl Perky ganz in seine Arbeit vertieft war, ging Rebecca flink und verschlagen vor, als ihre Hand sich zur Pralinenschachtel stahl. Sie hob die obere Lage an und nahm rasch zwei Rumtrüffel aus dem unteren Teil der Schachtel. Sie stopfte sie sich in den Mund, wobei das süß-widerliche Gefühl ihr fast die Sinne schwinden ließ, und begann heftig zu kauen.
Der Trick lag darin, sie so schnell wie möglich zu verschlingen; auf diese Art konnte man sich einreden, der Körper ließe sich übertölpeln, überlisten, die Kalorien en bloc zu verdauen, als zwei kleine Posten durchrutschen zu lassen.
Der Selbstbetrug ließ sich nicht mehr aufrechterhalten, sobald die böse, süße Scheußlichkeit in ihrem Magen ankam. Sie konnte spüren , wie ihr Körper diese hässlichen Gifte aufbrach und eine peinlich genaue Inventur vorhandener Kalorien und Schadstoffe vornahm, ehe er sie an jene Körperstellen umverteilte, an denen sie den größten Schaden anrichten würden.
Daher glaubte Rebecca zunächst an einen ihrer nur zu vertrauten Angstzustände, als es plötzlich losging: dieser langsame, brennende Schmerz. Es dauerte einige Sekunden, ehe ihr die Möglichkeit, dann die Gewissheit dämmerte, es könne mehr als das sein. Sie konnte nicht atmen, und ihre Ohren begannen zu klingen, während die Weltsich plötzlich um sie drehte. Rebecca sackte aus ihrem Sessel auf den Boden des Wintergartens und griff sich an die Kehle, während ihr Gesicht zur Seite fiel und Schokolade und Speichel aus ihrem Mund quollen.
Wenige Meter entfernt schnippelte Perky an den Rosenbüschen. Die Biester müssen mal gespritzt werden, dachte er, als er einen Schritt zurücktrat, um sein Werk zu begutachten. Aus dem Augenwinkel sah er etwas auf dem Boden des Wintergartens zucken …
2 Yasmin geht nach Yeovil
Yvonne Croft nahm ihr Exemplar von Rebecca Navarros Yasmin geht nach Yeovil zur Hand. Bisher hatte sie für die Sucht ihrer Mutter nach dieser als Die Miss-May-Regencyromane bekannten Serie kitschiger Liebesromane nur Verachtung übrig gehabt, aber von diesem Buch konnte sie einfach nicht die Finger lassen. Zuweilen, überlegte sie, wurde es schon beängstigend, wie sehr es sie fesselte. Yvonne saß aufrecht im Lotussitz in ihrem großen Korbsessel, einem der wenigen Möbelstücke neben dem schmalen Bett, dem hölzernen Kleiderschrank, der Kommode und dem winzigen Waschbecken in ihrem kleinen, lang gezogenen Zimmer im Schwesternwohnheim des St. Hubbin’s Hospital in London.
Sie verschlang gierig die beiden letzten Seiten des Buchs, den dramatischen Höhepunkt dieses neuen Abenteuers. Yvonne Croft wusste, wie es kommen würde. Sie wusste, dass die listige Ehestifterin Miss May (die in allen Rebecca-Navarro-Romanen in diversen Inkarnationen auftrat) Sir Rodney de Mourney als finsteren Wüstling entlarven würde, und dass die leidenschaftliche, stürmische und unbezähmbare Yasmin Delacourt mit ihrer wahren Liebe, dem schneidigen Tom Resnick, vereint werden würde, ganz genau wie in Rebecca Navarros letztem Werk, Lucy geht nach Liverpool , in dem Quentin Hammond, der schneidige Ostindienfahrer, die liebreizende Heldin vor der Entführung, dem
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