Ehrensache
Dann blickte er demonstrativ um sich. Jeder Schauspieler hätte das
als billigen Effekt durchschaut. »Mr. Kinnoul ist zurzeit nicht zu Hause?«
Sie lächelte. »Die meisten Leute nennen ihn einfach Rab. Weil sie ihn häufig im Fernsehen gesehen
haben, glauben sie, ihn zu kennen, und meinen, das gibt ihnen das Recht, ihn Rab zu nennen. Mr.
Kinnoul... daran merkt man, dass Sie Polizist sind.« Es sah aus, als wollte sie ihm mit dem
Finger drohen, doch dann besann sie sich anders und trank stattdessen ihren Tee. Sie hatte die
zierliche Tasse umfasst, statt sie an dem etwas unbequemen Henkel zu halten, und trank sie bis
auf den letzten Tropfen leer. Dann atmete sie heftig aus.
»Furchtbaren Durst heute Morgen«, sagte sie. »Tut mir Leid, was haben Sie gerade gesagt?«
»Sie waren dabei, mir was über Gregor Jack zu erzählen.«
Sie wirkte überrascht. »Tatsächlich?«
Rebus nickte.
»Ach ja. Ich habe darüber in der Zeitung gelesen. Furchtbare Dinge behaupten sie da. Über ihn und
Liz.«
»Mrs. Jack?«
»Liz, ja.«
»Was ist sie für ein Typ?«
Cath Kinnoul schien zu zittern. Sie stand ganz langsam auf und stellte ihre leere Tasse auf das
Tablett. »Noch einen Tee?« Rebus schüttelte den Kopf. Sie gab Milch, reichlich Zucker und einen
Schluck Tee in ihre Tasse. »Furchtbaren Durst«, sagte sie, »heute Morgen.« Die Tasse mit beiden
Händen haltend, ging sie ans Fenster. »Liz hat ihren eigenen Kopf. Man muss sie dafür bewundern.
Es kann nicht leicht sein, mit einem Mann zu leben, der so stark im Rampenlicht steht. Er sieht
sie kaum.«
»Sie meinen, er ist viel unterwegs?«
»Ja, schon. Aber sie ist auch viel unterwegs. Sie hat ihr eigenes Leben, ihre eigenen
Freunde.«
»Kennen Sie sie gut?«
»Nein, nein, das würde ich nicht sagen. Sie würden nicht glauben, was wir alles in der Schule
angestellt haben. Wer hätte gedacht...« Sie berührte die Fensterscheibe. »Wie gefällt Ihnen das
Haus, Inspector?«
Das war eine unerwartete Wendung des Gesprächs. »Es ist, äh, groß, nicht wahr?«, antwortete
Rebus. »Viel Platz.«
»Sieben Schlafzimmer«, sagte sie. »Rab hat es von irgendeinem Rockstar gekauft. Ich glaube nicht,
dass er es hätte haben wollen, wenn hier nicht ein Star gewohnt hätte. Wozu brauchen wir sieben
Schlafzimmer? Wir sind doch nur zu zweit... Oh, da kommt Rab.«
Rebus ging ans Fenster. Ein Landrover fuhr holpernd die Einfahrt hinauf. Eine kräftige Gestalt
saß auf dem Fahrersitz und hielt mit beiden Händen das Lenkrad umklammert. Mit einem lauten
Quietschen hielt der Landrover an.
»Wegen dieser Bücher«, sagte Rebus, plötzlich ganz der diensteifrige Beamte. »Wie ich gehört
habe, sammeln Sie Bücher?«
»Seltene Bücher, ja. Hauptsächlich Erstausgaben.« Cath Kinnoul hatte ebenfalls die Rolle
gewechselt. Nun spielte sie die Frau, die der Polizei bei ihren Ermittlungen...
Die Haustür ging auf und wieder zu. »Cath? Wem gehört das Auto da in der Einfahrt?«
Rab Kinnoul kam mit schweren Schritten in den Raum.
Er war etwa einsfünfundachtzig groß und wog vermutlich an die hundert Kilo. Ein Hemd, in rotem
Schottenkaro gemustert, spannte sich um seinen ausufernden Brustkorb.
Er trug eine ausgebeulte Cordhose, die in der Taille von einem schmalen, viel zu engen Gürtel
gehalten wurde. Er hatte angefangen, sich einen rötlichen Bart stehen zu lassen, und sein braunes
Haar, das sich an den Ohren kräuselte, war länger, als Rebus es in Erinnerung hatte. Er sah
Rebus, der auf ihn zuging, erwartungsvoll an.
»Inspector Rebus, Sir.«
Kinnoul wirkte erst überrascht, dann erleichtert und dann, wie Rebus meinte, besorgt. Das Problem
waren diese Augen; sie schienen sich nicht zu verändern, sodass Rebus sich anfing zu wundern, ob
Kinnoul tatsächlich Überraschung, Erleichterung und Sorge empfunden hatte oder ob er das nur
interpretiert hatte.
»Inspector, was ist... ich meine, ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Nein, nein, Sir. Es geht nur um ein paar Bücher, die gestohlen wurden, wertvolle Bücher.
Deswegen unterhalten wir uns mit privaten Sammlern.«
»Ach so.« Nun fing Kinnoul an zu grinsen. Rebus glaubte nicht, dass er ihn in einer seiner
Fernseh- oder Filmrollen je hatte grinsen sehen. Nun verstand er, warum. Das Grinsen verwandelte
Kinnoul von einem bedrohlichen Schurken in einen zu groß geratenen Teenager. Es erhellte sein
Gesicht, machte es unschuldig und gutmütig. »Dann wollen Sie also mit Cath reden?« Er blickte
über Rebus' Schulter zu seiner
Weitere Kostenlose Bücher