Eidernebel
morgen über uns hereinbricht. Die dritte Frau, die tot in einer Kirchen liegt. Schnappt euch endlich den Kerl!«
»Komm runter, Heinz«, sagt Colditz scharf. »Die Frau liegt übrigens nicht in der Kirche, sondern draußen.«
»Draußen? Hat das was zu bedeuten?«, fragt Püchel. Aller Druck ist aus seiner Stimme gewichen, um im nächsten Moment mit den Worten »Und warum steht ihr hier rum wie die Ölgötzen?« und »Wo ist die Leiche?« wieder wie gewohnt zu klingen. Dann stürmt er in Richtung Lichtschein davon.
»Das ist keine so gute Idee, Heinz!«, ruft Colditz dem Polizeirat hinterher. »Warte lieber, bis der Doc seine Arbeit erledigt hat!«
»Mein Gott!«, ertönt fast zeitgleich Püchels entsetzter Schrei. So schnell wie er davongeeilt ist, taucht er wieder bei den Kollegen auf. Er atmet tief durch, wirft die Zigarettenkippe ins Gras und tritt sie aus. Im Schein der Tatortlampen erkennt Swensen, dass sein Gesicht kreidebleich geworden ist. »Du elende Scheiße«, stammelt er atemlos und fummelt eine neue Zigarette aus der Schachtel, »da kann man ja gar nicht hinschauen. Warum hat mich denn keiner von euch vorgewarnt?«
Alle Augen richten sich ungläubig auf den Polizeirat, nur Colditz guckt demonstrativ zur Seite. Das knallartige Geräusch von Latexhandschuhen, die sich jemand von den Händen reißt, platzt in das Schweigen. Im selben Moment taucht die rundliche Gestalt von Michael Lade auf, die um die Ecke des Backsteingebäudes trottet.
»Na, Heinz, du bist aber schnell wieder davon«, stellt der Doktor trocken fest. »Wohl etwas zu viel des Guten, wa?«
»Wie hältst du das nur durch?«, knurrt Püchel zurück.
»Ich mach meinen Job – und ihr euren«, belehrt Lade.
»Und? Was kannst du uns für unseren Job sagen?«, fragt Colditz.
»Ist mit Sicherheit über einen Tag tot, die Frau. Die Totenstarre beginnt sich wieder zu lösen. Den genauen Zeitpunkt kann ich hier nicht bestimmen, da müsst ihr den Bericht der Obduktion abwarten. Ansonsten kann ich schon mal sagen, das Opfer wurde schwerstens misshandelt. Hinweise auf Würgen, Dunsung des Gesichts, Blutaustritt aus der Nase, tiefe Schnittverletzungen und mehrere Hautanschnitte in der Wundumgebung, mindestens sechs Stichverletzungen. In der Nabelregion wurde der Bauch aufgeschlitzt. Mäßige Ausbildung von Totenflecken. Ein Zeichen von Ausblutung und …«
»Danke, Doc, das reicht für den Anfang«, unterbricht Colditz.
»Können wir uns die Tote jetzt ansehen«, fragt Swensen zögerlich.
»Ich hab die Plane wieder über die gröbsten Grauslichkeiten gezogen«, erklärt Lade und zwinkert mit dem rechten Auge. »Muss ja nicht sein, dass einigen von euch das Essen aus dem Gesicht fällt.«
Der Hauptkommissar schließt kurz die Augen, atmet tief in den Bauch und lässt seine Gedanken wie Wolken durch den Kopf ziehen.
»Ich geh dann, Kollegen«, verkündet Lade lauthals.
»Bis dann«, sagt Swensen, »und grüß Desiree von mir. Wenn die Sache hier vorbei ist, laden wir deine Frau und dich zu uns nach Witzwort ein, versprochen.«
Der Doktor drückt ihm kurz die Hand. Swensen gibt sich einen Ruck und geht entschlossen um die Ecke bis zur Kirchentür. Sein Vorstoß wirkt wie eine Initialzündung, die drei Kollegen folgen ihm. Nur Polizeirat Püchel bewegt sich nicht vom Fleck, raucht stoisch und bläst den Qualm in die Luft.
Das Gesicht der toten Frau wirkt unnatürlich entspannt, trotz der Hämatome und Blutspuren. Doch Swensen weiß aus Erfahrung, dass es sinnlos ist, daraus irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen. Es ist der natürliche Prozess der Muskeldegeneration, die den Schrecken vor der Ermordung nach dem Tod verschwinden lässt. Er zwingt sich, der Frau in die gebrochenen Augen zu blicken.
»Fotos sind schon gemacht«, erklärt Colditz.
Die Männer der Spurensicherung kriechen in ihren weißen Overalls auf Knien über den Weg, der zur Kirchentür führt. Swensen kann Hollmann ausmachen, der unten an der Pforte den Einsatz leitet.
»Wird nicht eine Frau aus Husum vermisst?«, fragt Swensen in einem plötzlichen Gedankenblitz die Kollegen. »Ich hab die Akte erst vor Kurzem auf Susans Schreibtisch gesehen. Da muss doch ein Foto drin gewesen sein? Hat jemand von euch da mal reingeschaut?«
Silvia Haman und Rudolf Jacobsen zucken mit den Achseln.
»Mielke überprüft alle Vermisstenfälle in Schleswig-Holstein«, sagt Colditz. »Der dürfte sich in der Zwischenzeit darum kümmern.«
»Und warum haben wir den Fall noch nicht in
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