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Ein diplomatischer Zwischenfall

Ein diplomatischer Zwischenfall

Titel: Ein diplomatischer Zwischenfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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antwortete Poirot. »Ich dachte nur nach. Sie werden Ihr Kosmetiktäschchen bekommen.«
    »Oh, danke schön, vielen herzlichen Dank.« Annie ging froh davon. Poirot sah ihr nach und nickte zufrieden mit dem Kopf.
    »Tja«, sagte er zu sich selbst. »Und jetzt gehe ich. Ich habe meine Aufgabe hier erfüllt.« Unerwartet legten sich in diesem Augenblick von hinten zwei Arme um seine Schultern.
    »Da Sie gerade unter dem Mistelzweig stehen…«
    Es war Bridget. Hercule Poirot genoss es, er genoss es sehr. Er sagte sich, dass es ein sehr schönes Weihnachtsfest sei…

Die spanische Truhe
     
    P ünktlich auf die Minute, wie immer, betrat Hercule Poirot den kleinen Raum, wo Miss Lemon, seine tüchtige Sekretärin, ihre Instruktionen für den Tag erwartete.
    Auf den ersten Blick schien Miss Lemon gänzlich aus Kanten und Winkeln zu bestehen und befriedigte somit Poirots Bedürfnis nach Symmetrie.
    Womit jedoch nicht gesagt sein soll, dass Poirot sich sonst bei Frauen von seiner Leidenschaft für geometrische Präzision beherrschen ließ. Im Gegenteil, er war altmodisch und hatte eine kontinentale Vorliebe für Kurven – ja sogar für üppige Kurven. Frauen sollten in seinen Augen Frauen sein. Er liebte sie wohl gerundet, farbenprächtig, exotisch.
    Doch Miss Lemon hatte er nie als Frau betrachtet. Sie war eine menschliche Maschine – ein Präzisionsinstrument. Von nahezu erschreckender Tüchtigkeit. Sie war achtundvierzig Jahre alt und besaß auch nicht die geringste Spur von Fantasie.
    »Guten Morgen, Miss Lemon.«
    »Guten Morgen, Monsieur Poirot.«
    Poirot setzte sich hin, und Miss Lemon legte die sorgfältig nach Kategorien geordnete Morgenpost vor ihn auf den Tisch. Dann nahm sie wieder Platz und saß mit gezücktem Bleistift und aufgeschlagenem Stenogrammblock erwartungsvoll da.
    Aber dieser Morgen sollte eine leichte Änderung in der gewohnten Routine bringen. Poirot hatte die Morgenzeitung bei sich, und sein Blick glitt voller Interesse über die großen, fetten Schlagzeilen.
     
    DAS GEHEIMNIS DER SPANISCHEN TRUHE.
    NEUESTE ENTHÜLLUNGEN.
     
     
    »Sie haben gewiss die Morgenzeitungen gelesen, Miss Lemon?«
    »Ja, Monsieur Poirot. Die Nachrichten aus Genf klingen nicht sehr gut.«
    Mit einer umfassenden Handbewegung fegte Poirot die Nachrichten aus Genf beiseite.
    »Eine spanische Truhe«, sagte er sinnend vor sich hin. »Können Sie mir verraten, Miss Lemon, was man eigentlich unter einer spanischen Truhe versteht?«
    »Ich nehme an, Monsieur Poirot, dass es eine Truhe ist, die ursprünglich aus Spanien stammte.«
    »Das sollte man vernunftgemäß annehmen. Sie besitzen also auch keine genaueren Kenntnisse?«
    »Diese Truhen stammen gewöhnlich aus der Elisabethanischen Zeit, glaube ich. Sie sind geräumig und reichlich mit Messingbeschlägen verziert. Wenn sie gut gepflegt und poliert werden, sehen sie recht nett aus. Meine Schwester hat eine solche Truhe bei einer Auktion erstanden und bewahrt Leinenwäsche darin auf.«
    »Ich bin überzeugt, dass in einem Haus, das einer Ihrer Schwestern gehört, alles Mobiliar tadellos gepflegt ist«, erklärte Poirot mit einer galanten Verbeugung.
    Dann blickte er wieder in die Zeitung und studierte die Namen; Major Rich, Mr und Mrs Clayton, Commander McLaren, Mr und Mrs Spence. Namen, nichts weiter als Namen für ihn. Und doch waren sie alle menschliche Individuen, besessen von Hass, Liebe, Furcht. Ein Drama, in dem er, Hercule Poirot, keine Rolle spielte. Dabei hätte er sich so gern damit befasst. Sechs Menschen auf einer Abendgesellschaft, in einem Raum mit einer großen spanischen Truhe an der Wand, sechs Menschen, von denen fünf schwatzten, schmausten, Schallplatten auflegten, tanzten, und der sechste tot war, tot in der span i schen Truhe…
    Ach, seufzte Poirot. Was für einen Spaß mein lieber Freund Hastings an diesem Problem gehabt hätte! Die Sprünge, die seine romantische Fantasie gemacht haben würde! Was für Torheiten er geäußert hätte! Ah, ce cher Hastings, wie sehr ich ihn in diesem Augenblick vermisse…
    Sein Blick wanderte zu Miss Lemon hinüber. Miss Lemon, die klugerweise merkte, dass Poirot nicht in der Stimmung war, Briefe zu diktieren, hatte die Schutzhülle von ihrer Schreibmaschine genommen und wartete auf den Moment, wo sie mit ihrer gestern liegen gebliebenen Arbeit fortfahren konnte. Nichts hätte sie weniger interessieren können als unheimliche spanische Truhen, die Leichen enthielten.
    Abermals seufzend blickte Poirot auf ein

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