Ein gefaehrlicher Liebhaber
wir wieder in Manaus sind«, sagte sie, ein klein wenig traurig. »Dann sehen wir uns nie wieder, und es ist sowieso egal.«
Er stieß ein hartes, kurzes Lachen aus, bar jeden Humors. »Nicht nur in Manaus bist du nicht vor mir sicher, Kleines. Du gehörst mir, und das wirst du auch einsehen, egal, wie lange ich hinter dir her sein muss.«
»Da spricht nur dein Ego. Sobald wir wieder zurück sind, wird eine andere daherkommen, eine, die nichts gegen ein oberflächliches Techtelmechtel einzuwenden hat.«
»Oberflächlich ist an dir bestimmt nichts«, murmelte er. Er sah aus, als wollte er mehr sagen, doch er überlegte es sich abrupt anders und suchte ein sauberes Unterhemd aus ihrem Rucksack heraus. Ebenso sanft und behutsam wie gestern zog er es ihr an. Danach bandagierte er ihre Schulter und half ihr so rasch und geschickt mit dem Rest, als wäre sie ein kleines Kind. Anschließend kniete er sich zu ihrer Überraschung hinter sie und begann ihr das Haar auszubürsten. Am Schluss band er es ihr zu ihrem üblichen Pferdeschwanz hoch. Den Abschluss bildete ein Kuss in den Nacken. »Bitte schön. Und wie wär’s jetzt mit Frühstück?«
Hunger hatte sie, obwohl sie seine Fürsorglichkeit ein wenig aus der Fassung gebracht hatte. Sie wollte nicht, dass er fürsorglich war, sie wollte, dass er der Ben Lewis war, den sie kannte, der schamlose, unverschämte, sorglose Ben Lewis. Und der tapfere, natürlich, fügte sie im Geiste hinzu, der, der den Teufel nicht fürchtete. Der unglaublich fähige. Der gefährliche. Der rücksichtslose.
Zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie überhaupt eine Chance hatte, wenn die Frage nicht »wann« lautete, sondern »wenn«. Denn sie war dabei, einen schweren Fehler zu begehen, einen absolut hirnrissigen Fehler. Sie war dabei, sich in den Kerl zu verlieben.
Er ließ an diesem Tag öfter halten, damit sie sich ausruhen konnte, und es erging ihr viel besser, als sie es selbst erwartet hätte. Die Blutergüsse und Zerrungen an Handgelenken und Schulter taten nicht weh, solange man sie in Ruhe ließ. Die feste Schulterbandage hielt ihre Schulter ruhig, sodass sich die gezerrten Sehnen erholen konnten. Da sie keinen Rucksack trug, war der Marsch für sie sogar leichter als vor ihrer Verletzung.
Als Ben an diesem Abend den Verband löste, mit dem ihr linker Arm fixiert gewesen war, stellte sie fest, dass sie ihn schon wieder ganz gut und ohne große Schmerzen bewegen konnte, da die Schulterbandage das Schultergelenk nach wie vor stützte. Sie schaffte es sogar, sich selbst auszuziehen, wenn auch langsam und mühsam. Nachdem sie noch zwei Aspirin geschluckt hatte, schlief sie wie ein Murmeltier.
Am nächsten Tag fühlte sie sich wieder so weit hergestellt, dass sie auf das Fixieren des Arms verzichten konnte, und sie schritt forsch hinter Ben einher. Sie waren jetzt so hoch gekommen, dass die drückende Hitze etwas nachgelassen hatte, und obwohl sie sich immer noch steile Hänge hinauf- und hinabquälen mussten, kam sie ohne größere Schwierigkeiten zurecht.
Sie waren an diesem Vormittag erst wenige Stunden unterwegs, als sie unvermittelt in eine Sackgasse gerieten, eine Schlucht ohne Ausgang. Um sie herum türmten sich lotrecht die Berge auf, und obwohl es in den verschlüsselten Anweisungen hieß, dass sie sich an diesem Punkt genau gen Norden wenden sollten, so war dies doch unmöglich, außer man besäße Flügel. Alle blieben stehen und fixierten sie erwartungsvoll. Sie starrte hinauf zu den Bergen, die zum Großteil mit Bäumen und Büschen zugewachsen waren. Nur gelegentlich schaute nackter Fels zwischen all dem Grün hervor. Sie waren umgeben von grünen Wänden. Armdicke Lianen hingen bis zum Boden, und es gab hier mehr wilde Orchideen, als sie je an einem Platz gesehen hatte.
Ben, der ihren Rucksack trug, trat zu ihr. »Du solltest die Anweisungen eventuell noch mal überprüfen«, schlug er vor.
Das tat sie, nahm ihr Notizbuch heraus und arbeitete den Code erneut durch, aber die Anweisungen blieben dieselben. »Nein, es stimmt schon«, sagte sie ratlos.
»Das kann nicht sein, außer wir sollen wie die Schimpansen an diesem Grünzeug raufklettern.«
»Es heißt hier: genau nach Norden.« Sie gestikulierte hilflos. »Nach Norden geht’s da lang.«
»Shit.« Er nahm den Hut ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wir müssen irgendwie vom Weg abgekommen sein.«
»Unmöglich. Die Landmarke gestern Nachmittag war genau da, wo sie sein sollte. Wir sind richtig.
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