Ein guter Mann: Roman (German Edition)
kann.«
»Ja.« Müller dachte: Nun mach schon!
»Wollen Sie erzählen? Oder soll ich fragen?«
»Ich erzähle.«
Vor ihren Füßen landeten zwei Tauben und flogen wieder davon.
»Meine Frau trifft keine Schuld. Sie hat keine heimliche Liebschaft, ich auch nicht. Aber die Ehe ist in die Jahre gekommen. Wir haben uns nichts zu sagen, wir haben nichts mehr miteinander, seit langem schon. Ich gehe davon aus, dass mein Beruf an der Misere schuld ist. Ich lebe ständig im Nebel, kann ihr nichts sagen. Ich lebe in einer Welt, die für meine Frau nicht existiert. Und ich habe den entmutigenden Eindruck, sie weiß nichts von mir.«
»Weil sie nichts wissen will?«, fragte Krause aggressiv.
»Weil ich den Mund halten muss. Sie fragt nicht.«
»Und war dadurch immer eine bequeme Gefährtin!«, sagte Krause. »Sie kannten sie schon, als Sie noch bei der Polizei, beim Sondereinsatzkommando waren, nicht wahr?«
»Ja. Wir haben uns so gegen Ende meiner Zeit im Polizeidienst kennen gelernt.«
»Weiß sie, dass Sie einen Menschen im Einsatz erschossen haben?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil sie damit nicht umgehen könnte.«
»Das denken Sie. Haben Sie es zu erklären versucht?«
»Nein.«
»Da stellt sich doch die Frage, wer der große Schweiger ist, Ihre Frau oder Sie selbst.«
Müller spürte plötzlich einen heftigen Zorn. »Darüber zu reden bringt doch nichts!«
»Sie brauchen Ruhe daheim«, beharrte Krause. »Wie ist das eigentlich mit Ihrer kleinen Tochter?«
»Sie wird bei meiner Frau bleiben«, äußerte Müller. »In gewisser Weise werde ich sie verlieren. Mein Leben ist viel zu unruhig, das Leben meiner Frau verläuft dagegen vorhersehbar, in beschissen ruhigem Takt.«
»Ja, ja.« Krause nickte. »Das komplett berechenbare Leben …«
Müller spürte die leise Verachtung in den Worten. Er blies zum Gegenangriff. »Ich wollte schon immer wissen, wieso Sie das Theologiestudium abgebrochen haben.«
»Ich konnte nicht unredlich leben, ich konnte mich nicht in eine Hierarchie einfügen, in der bestimmte grobe Lügen zum Alltag gehören. Wieso interessiert Sie das jetzt?«
»Ich will erfahren, wie andere mit den Brüchen ihres Lebens umgehen. Wie leben Sie mit den groben Lügen unseres Berufes?«
Eine Weile schwieg Krause, dann lachte er leise. »Das mag ich so an Ihnen. Man muss sich warm anziehen. Tatsächlich habe ich meiner Frau sehr viel gesagt, aber niemals Einzelheiten. Ich glaube, sie weiß sehr gut, was ich tue. Manchmal spüre ich das, wenn sie nach meiner Hand greift.«
»Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.«
»Es gibt keine Rezepte«, sagte Krause behutsam. »Sehen Sie mal, da gibt es Eis in Tüten. Was wollen Sie?«
»Zwei Kugeln Zitrone«, antwortete Müller und musste lächeln.
Eis schleckend wanderten sie dahin, bis ein kleines Mädchen direkt vor Krause hinfiel und heftig zu schreien begann. Krause hob sie hoch und murmelte: »Ist ja schon gut, ist ja schon gut.« Dann kam die Mutter und giftete heftig: »Wie oft habe ich dir verboten zu rennen?«
Nach einer Weile fragte Krause: »Wie kann man einem Kind das Rennen verbieten? Wollen Sie jetzt hören, was ich zu sagen habe?«
»Ja.«
»Dann muss ich zuerst fragen, ob Sie überlegt haben, in einen anderen Beruf zu gehen oder auf einen ruhigen Schreibtischposten bei uns im Amt zu wechseln.«
»Das habe ich oft überlegt. Kommt aber nicht infrage.« »Ich würde sagen: Gehen Sie zu Ihrer Frau, und reden Sie mit ihr. Vorsichtig. Sagen Sie ihr, dass Sie eine Weile allein sein wollen. Sie können ein kleines Apartment des Amtes haben, wenn Sie mögen. Es ist möbliert und angenehm billig. Es war in grauen Vorzeiten mal eine konspirative Wohnung. Dann sehen wir weiter. Und ich würde darum bitten, dass Sie so viel Zeit wie möglich im Amt verbringen. Nicht zur Ablenkung, sondern um Achmed zu suchen.«
»Wie kann ich ihn unter vier Millionen Menschen suchen?«
»Das weiß ich noch nicht. Es muss einen triftigen Grund geben, warum er in Berlin ist und Ihnen die Reise verschwiegen hat. Hat ihn jemand hergeholt? Und wenn ja, warum?«
»Hat es jemals einen derartigen Vorfall mit einer menschlichen Quelle gegeben?«, fragte Müller.
»Wir haben jeden Tag eine Premiere mit irgendetwas. Aber es ist trotzdem beunruhigend.«
»Dann möchte ich noch etwas zu Achmed sagen. Es war gegen die Regel, ihm meine private Adresse zu geben. Aber ich denke, wir hätten keine Neuigkeiten aus Syrien bekommen, wenn ich ihm dieses Vertrauen
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