Ein Haus geteilt durch 8
es nicht lernen.«
»Dann weiß ich also, woran ich bin.«
»Ich hoffe es, mein Junge.«
»Und das ist dein letztes Wort?«
»Ich glaube nicht, daß mehr dazu zu sagen ist.«
»Nun, dann muß ich dir leider erklären, daß ich Sabine Handrig heiraten werde.«
Der Junge erhob sich aus seinem Sessel. Er brauchte Schwung, um aus dem tiefen Sitz auf die Beine zu kommen. Sie waren beide durch den riesigen Schreibtisch getrennt, auf dem ein paar Unterschriftsmappen auf Erledigung warteten. Sonst war die spiegelblanke Platte bis auf ein Diktaphon, zwei Fernsprecher und einen riesigen Aschenbecher aus rötlichem Marmor, leer.
»Du kommst ins fünfte Semester, Werner.«
»Hat es etwas Besonderes zu bedeuten, daß du mich daran erinnerst?« fragte der Junge und drehte sich auf dem halben Weg zur Tür noch einmal um.
»Wie du dich auch entscheiden magst, Werner, ich wollte dir noch sagen, daß du dich stets an mich wenden kannst, wenn du etwas brauchst.«
»Herzlichen Dank«, sagte der Junge grimmig, »aber ich möchte es mir selbst gern beweisen, daß ich auch ohne deine Hilfe durchkomme.« Und das war das letzte Wort, das er mit seinem Vater wechselte. Von einem Guthaben, das er besaß, zog er fünfhundert Mark ab und schickte das Kontobuch seinem Vater als Einschreiben zu. Die Hälfte dieses Geldes war für die erste Miete und für ein paar Anschaffungen draufgegangen. Fräulein Handrig kündigte der Firma Fröhlich & Söhne KG und trat bald darauf als Kontoristin bei der Getreidehandelsfirma Zettel & Sartor ein, wo sie 263 Mark und 48 Pfennig in die Hand verdiente. Als Werner von seinem Einkauf zurückkam, war der Tisch gedeckt, und der Tee zog in der dickbauchigen Kanne.
»Hübsch, wie du das gemacht hast, Süße«, lobte er und legte eine Banane neben ihren Teller auf die mit Kreuzstichen verzierte Tischdecke. »Daß du nicht etwa denkst, die Banane sei für dich. Unser Kaninchen will ja schließlich auch etwas Gutes haben.«
»Manchmal denke ich, alle Leute müßten es mir schon ansehen.«
»Na, höre einmal, Süße, das müßte ich doch schließlich als erster bemerken. Und ich sehe keine Spur. Aber wie ist es nun? Willst du zuerst das Kaninchen füttern, oder sind wir an der Reihe?«
Sie füllte aus der Tüte Zucker in die Dose und schenkte ihm Tee ein, er halbierte die Semmeln, strich sie mit Butter und salzte sie ganz leicht.
Es war ihre erste gemeinsame Mahlzeit im eigenen Heim, vier Semmeln und eine Kanne Tee, aber es schwebte etwas über ihren Handreichungen, ein Glanz, als wäre es ein Festmahl und als stände ein galonierter Diener hinter jedem Stuhl. Und als die Kanne leergetrunken war, schob Sabine Werner den Aschenbecher hin, aber er schüttelte den Kopf.
»Danke, Süße, aber ich habe mir das Rauchen abgewöhnt.«
»Seit wann denn?« fragte sie erstaunt.
»Ach, schon mindestens seit vier Tagen. Hast du es gar nicht bemerkt?«
Sie sah ihn an, und plötzlich kniete sie vor ihm und verbarg das Gesicht aufschluchzend in seinem Schoß.
»Was ist los, Liebling? Was hast du?« Er beugte sich ratlos zu ihr herab und zog ihr Gesicht an seine Brust und spürte, wie ihre Tränen seine Finger näßten.
»Ach, Wernerchen, ich habe solche Angst um uns!«
Und plötzlich verstand er, auch ohne daß sie es ihm erklärte, weshalb gerade sein heroisch verkündeter Entschluß, er werde das Rauchen aufgeben, bei ihr diese Wirkung ausgelöst hatte.
Ganz instinktiv spürte sie, daß dieser ersten freiwilligen Einschränkung hundert andere folgen würden, zunächst heldenmütig ertragen, und später als immer ärger werdender Zwang empfunden, bis schließlich dieser Zwang, sich einzuschränken und zu verzichten, eine unerträgliche Last werden mußte, unter der ihre Liebe erstickte.
»Nein, Sabinchen«, sagte er heftig, als ob er ihre Gedanken erraten hätte, »nie und nimmer! Ich falle nicht von der Stange. Morgen oder übermorgen, in drei oder vier Tagen habe ich eine Stellung. Die Zeitung wimmelt von Anzeigen, in denen Leute gesucht werden, die Geld verdienen wollen. Tausend Mark im Monat und mehr! Das können die Brüder doch nicht schreiben, wenn es nicht stimmt. Und ich bin doch nicht auf den Kopf gefallen, und auf den Mund auch nicht. Na, siehst du. Und wenn es im Anfang auch nur drei- oder vierhundert sind. Damit kommen wir ganz gut durch. Oder hast du kein Vertrauen zu mir?«
»Wie du so etwas fragen kannst. Aber das heißt doch für dich, daß du dein Studium aufgeben mußt.«
»Gott sei Dank«,
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