Ein Kuss von dir
meine Schwester schreiend aus dem Haus gelaufen. Sie haben sie geschnappt und erschlagen.« Remington schaute ins Nichts, als sähe er Dinge, die besser vergessen blieben. »Abbie war neun Jahre alt.«
»Abbie …«, flüsterte Eleanor. Sie hatte ein zartes kleines Mädchen mit hellblondem Haar vor Augen, ein Schwesterchen, das ihren großen Bruder anbetete.
Nein, die Bande zwischen Remington und Eleanor würden sich nie verfestigen. Es gab keine Worte, seinen Schmerz zu lindern. Er machte ihre Familie für all das verantwortlich, und eine so schreckliche Tat würde er nie vergeben können.
Remington holte tief Luft, dann richtete er seine Aufmerksamkeit abermals auf Eleanor. »Als mein Vater deportiert wurde, hat Magnus das Unternehmen übernommen. Der Adel hat es nicht mitbekommen; man war wegen des Mordes und des Gerichtsverfahrens viel zu sehr aus dem Häuschen. Magnus hat auch das Anwesen bekommen, das mein Vater erworben hatte, im vergeblichen Versuch, sich gesellschaftsfähig zu machen. Es gehört nach wie vor den de Lacys. Die Ruine vom Haus meines Vaters steht ebenfalls nach wie vor dort.«
»Magnus besitzt kein derartiges Anwesen«, sagte sie.
»Doch, das tut er. Der Besitz meines Vaters grenzt an Lacy Hall in Chiswick, nicht weit von London. Erinnerst du dich an -«
»Die alte Ruine auf dem Hügel.« Ein Schauer überlief sie, und sie rieb sich die Arme. Die Besitzungen der Familie de Lacy in Chiswick waren riesig – zwei Besitzungen, wie sie jetzt wusste – und von dem verfallenen Haus hieß es, es spuke darin. Und möglicherweise tat es das auch.
»Dein Großvater hat das Haus niederreißen lassen, noch bevor mein Vater deportiert war. Es heißt, er hätte es in einem Anfall von Verzweiflung getan.« Remingtons Stimme wurde heiser. »Mein Vater glaubte, er habe es in einem Anfall von Schuldgefühlen getan. Er war überzeugt, dass dein Großvater Lady Pricilla umgebracht hat.«
Eleanor schüttelte entschieden den Kopf. »Unmöglich. Mein Großvater hat Pricilla bis ans Ende seiner Tage betrauert. Während der letzten Jahre war er nicht mehr ganz klar, und er hat oft mit mir gesprochen. Er hat mich bei der Hand genommen und mich Pricilla genannt, und er hat gesagt … er hat gesagt, George sei es nicht gewesen. Er hat gesagt … es sei um so vieles schlimmer. Ich habe nicht verstanden, was er damit gemeint hat.«
»Dann bliebe nur ein möglicher Täter übrig, der Duke of Magnus.«
Sie lachte kurz und amüsiert. »Nein.«
»In den Monaten, die der Tragödie vorangingen, hat der jetzige Duke of Magnus das Geschäft meines Vaters ausspionieren lassen. Er wird nicht rasten und nicht ruhen, bis er die ganze Familie meines Vaters zerstört hat.«
»Du machst einen Fehler.« Sie erhob sich und sah ihm ins Gesicht. »Ich kenne meinen Onkel. Ich habe in seinem Haus gelebt. Ich war die Gesellschafterin seiner Tochter. Er ist nichtsnutzig, genial und zerstreut. Ich halte nichts von ihm – die Art, wie er Madeline behandelt, ist eine Schande. Aber ich mag ihn. Es ist praktisch unmöglich, ihn nicht zu mögen. Er könnte sich nicht einmal lange genug konzentrieren, um einen Plan wie diesen auszuhecken, so wenig, wie er zum Mond fliegen kann. Er hat keinen Tropfen böses Blut in sich, aber auch keinen Tropfen Verantwortungsbewusstsein.« Dann wiederholte sie: »Du machst einen Fehler«, und fuhr fort: »Ich weiß nicht, wer meine Tante getötet hat, und ich weiß auch nicht, wer deinen Vater und deine Schwester getötet hat, aber ich weiß, wer es nicht war. Es war nicht der Duke of Magnus.«
Remington schien größer zu werden, und seine Stimme klang bedrohlich. »Der einzige Fehler, den ich je gemacht habe, war, die falsche Frau zu heiraten.«
Eleanor war nicht weniger wütend. »Durch meine Adern fließt das gleiche Blut wie durch Madelines. Wenn du in die Familie einheiraten wolltest, dann kannst du zufrieden sein. Aber du wolltest die Duchess. Du wolltest das Beste.« Ihr Herz donnerte gegen die Brust. Sie trat näher und sah ihm in die Augen. »Und hast mich bekommen. Ich bin nicht meine Familie. Du kannst mir, für welches Verbrechen auch immer, nicht die Schuld geben und musst mich für gute Taten nicht loben.« Sie konnte genauso gut gleich sagen, was sie dachte. Was hatte sie zu verlieren? Er dachte sowieso das Schlechteste von ihr. »Dies ist mein erstes Leben auf Erden, und ich habe genauso viel Recht, nach Glück zu streben wie jeder andere auch. Ich bin nicht Madeline. Ich bin nicht mein
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