Ein Lord mit besten Absichten
überheblichsten Seite zeigte. Die Miene war zwar nicht besonders gelungen, erfüllte aber ihren Zweck. Tremayne unternahm noch ein oder zwei Anläufe, um der Unterredung zu entgehen, folgte Gillian dann jedoch zögernden Schrittes, als sie nach oben in ihr kleines Wohnzimmer ging.
»Sie sind am längsten bei Lord Weston.« Sie bemühte sich, weiterhin streng zu klingen, doch die betroffene Miene des Butlers gab ihr das Gefühl, der größte Unmensch auf Erden zu sein. »Würden Sie mir erklären, was die ganze Szene in der Halle zu bedeuten hatte?«
»Eigentlich ist Hippy am längsten bei Seiner Lordschaft«, entgegnete Tremayne, während er vor Unbehagen mit den Füßen scharrte.
»Hippy?«
»Hippokrates. Mein ältester Bruder, Seiner Lordschafts erster Kutscher. Mutter hatte ein Faible für die alten Griechen.«
»Ich verstehe. Und … äh … wenn ich fragen darf, Tremayne, der Kammerdiener …?«
»Plutarch, Mylady.«
»Nein, ehrlich? Nun, das ist ja mal etwas ganz anderes. Und Sie?«
Tremayne hob das Kinn und blickte sie über seine Nase an. »Odysseus, Mylady.«
Als Gillian alle Namen vernommen hatte, musste sie sich arg zusammenreißen, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Sie schluckte mehrmals schwer und schaffte es schließlich, zu sprechen, ohne dass ihre Mundwinkel dabei zuckten.
»Offensichtlich gab es Streit zwischen Ihnen und Ihren Brüdern, Tremayne. Wären sie so freundlich, mir den Grund zu nennen?«
Tremayne scharrte wieder mit den Füßen und räusperte sich. »Das ist eine lange Geschichte, Madam.«
Gillian warf einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims. »Für lange Geschichten fehlt mir leider die Zeit, Tremanyne zwei, also wenn Sie sich bitte kurzfassen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.«
Der Butler räusperte sich erneut und faltete die Hände, wie ein kleiner Junge, der etwas auswendig aufsagen sollte. Gillian lehnte sich mit einem Seufzer zurück. Dann bekam sie wohl doch nicht die Kurzfassung zu hören.
»Es begann alles vor vielen Jahren, Madam, als wir noch in Oxfordshire wohnten. Im Haus gleich nebenan wohnte ein süßes Mädchen namens Clara …«
»Aha, es geht um eine Frau!«, stellte Gillian zufrieden fest. »Ich liebe romantische Geschichten. Wie alt war denn die süße Clara?«
»Zu der Zeit, als es zu den Missverständnissen kam, war sie acht, Mylady.«
Gillian schaute ihn verdutzt an. »Acht? Nicht achtzehn? Sie meinen wirklich acht?«
»Ja, Mylady. Wie ich sagte, es ist schon sehr lange her.«
»Was in aller Welt kann denn passiert sein, dass sich drei Brüder so furchtbar zerstreiten und seitdem immer wieder aneinandergeraten?«
Tremaynes Miene wirkte gequält. »Sie – das heißt, Clara – hatte versprochen, mit mir zum Jahrmarkt zu gehen, Mylady.«
»Und ich nehme an, sie hat ihr Versprechen gebrochen?«
»Nein, Mylady.«
»Ist sie mit eins gegangen?«
»Nein, Mylady.«
»Drei?«
»Nein, Mylady. Sie ist in Begleitung eines gewissen Jabez Willson zum Jahrmarkt gegangen.«
Gillian war leicht verwirrt. »Aber warum«, fragte sie vorsichtig, »streiten Sie dann immer noch miteinander, wenn sie Sie doch alle drei gleichermaßen gekränkt hat?«
»Das ist eine gute Frage, Mylady.«
Gillian wartete darauf, dass er weiterredete, doch er schwieg nur. »Und?«, fragte sie ungeduldig.
»Leider können wir uns nicht mehr daran erinnern.«
Gillian unterdrückte den Drang, ihn zu erwürgen, und beschloss, nicht weiter nach der Ursache ihrer Fehde zu forschen. Stattdessen kam sie noch einmal auf ihre ursprüngliche Frage zurück. »Der Kanaillen-Gentleman in der Eingangshalle, Tremayne, können Sie mir mehr über ihn berichten?«
»Das, Mylady, war Alasdair McGregor. Und seit Kurzem Lord Carlisle.«
»Nun ja, das erklärt, wer er
ist
, doch nicht wer
er
ist, wenn Sie verstehen.«
Tremayne blickte verwirrt.
»Was hat er mit Lord Weston zu tun?«
Tremayne blickte stur.
»Warum ist Lord Weston so wütend auf ihn?«
Tremayne blickte unsicher.
Gillian runzelte die Stirn und wollte gerade einen schärferen Ton anschlagen, als er kurz mit den Achseln zuckte und seufzte. »Lord Carlisle ist ein alter Bekannter von Lord Weston, Mylady.«
»Und?«
»Vor fünf Jahren haben sie sich dann überworfen.«
»Ach. Eine Freundschaft, die auseinanderging?«
Tremayne verzog das Gesicht. »Etwas in der Art, Mylady. Wenn Sie gestatten, Madam, ich hatte Crouch angekündigt, dass ich ihm noch zeigen würde, wie man ein Fischmesser poliert. Seine
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