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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Steinigung verurteilt hast, wenn du dich nicht auf die Seite der Feinde Israels gestellt hast, wenn du den Sabbat in deinem Herzen und nicht nur nach den Buchstaben des Gesetzes respektiert hast, und dabei in den Stunden des Gebets über habgierige Pläne nachdachtest, wenn du dir nicht den Unterleib gestreichelt hast, während du doch gleichzeitig Tugend predigtest, wenn du nie Weihrauch und Myrrhe entwendet hast, um dein eigenes Haus zu parfümieren — wenn du dich all dieser Dinge nie schuldig gemacht hast, Rabbiner, dann hast du auch keinen Anlaß, dich vor Rebellen zu fürchten oder vor jenen, die nach Gerechtigkeit rufen, obwohl sie nicht wie du die Bücher studiert haben.«
    Die Umstehenden hielten den Atem an. Der Rabbiner schüttelte wütend den Kopf. Er drehte sich zu den anderen um, bemerkte aber, daß ihm nur Feindseligkeit entgegenschlug. Er schloß den bereits zu einer Erwiderung geöffneten Mund wieder und ging davon, wobei er sich zornig den fransenbesetzten Mantel abklopfte.
    »Noch nie hat jemand so zu einem Rabbiner gesprochen. Dem da jedenfalls geschieht das ganz recht«, sagte Nathan. »Das beweist nur deine Autorität. Jokanaan hatte schon recht, was dich betrifft.«
    Eine Frau trat vor und versuchte, Jesus’ Hand zu fassen, um sie ihm zu küssen, doch der Kuß streifte gerade nur den Ärmel — Jesus hatte seine Hand zurückgezogen.
    »Geht alle hin in Frieden«, sagte er. »Gott wacht über euch.«
    Da er so gedrängt wurde, nahm er Nathans Gastfreundschaft an. Kein Zweifel, es lag etwas in der Luft. Sie warteten auf jemanden, doch sie warteten weder auf einen Zeloten noch auf einen Apollonios.
     
    Als er ein wenig später in Betanien umherschlenderte, hielt er vor einem Brunnen, um zu trinken. Neugierig betrachtete er sein verzerrtes Spiegelbild auf der Wasseroberfläche. Während er sich den Bart abwischte, merkte er, daß er von einem Mann beobachtet wurde, der in geringer Entfernung vor ihm stand, als ob er auf ihn warten würde. Er musterte ihn. Ob das wohl ein Gefolgsmann des Rabbi war? Dreißig Jahre alt war er ungefähr, stämmig gebaut, und sein Blick hatte etwas Kindliches.
    »Rabbi«, sagte da der Unbekannte, »ich bin Andreas, Sohn des Johannes aus Galiläa. Ich möchte dir folgen.«
    »Wie kommt ein Galiläer nach Judäa?«
    »Ich besuche hier Verwandte.«
    »Warum willst du dich mir anschließen?«
    »Nathan berichtet, daß Jokanaan sagt, du seist der Messias.«
    »Wie sollte das der eine wie der andere wissen können?« murmelte Jesus.
    »Ich jedenfalls, ich glaube an dich. Warum willst du es denn nicht wahrhaben, daß ich an dich glaube?«
    »Und wenn du dich täuschst? Und wenn auch ich mich täusche?«
    »Ich habe gehört, wie du mit dem Rabbiner gesprochen hast. Ich kann mich nicht täuschen, und du ebenfalls nicht. Meinst du nicht, daß man die Wahrheit erkennen kann?«
    Der erste Soldat.
    »Ich habe nicht vor, Betanien sofort zu verlassen«, sagte Jesus langsam. »Du findest mich bei Nathan.«
    Er kehrte zu Nathans Haus zurück. Das Zimmer, das ihm der Zimmermann zur Verfügung gestellt hatte, lag auf gleicher Höhe mit einem Mandelbaumwäldchen. Er legte sich zur Ruhe, doch seine Gedanken drehten sich im Kreis. Was beinhaltete eigentlich dieses Wort: Messias? Inzwischen wußte er es nicht mehr. Wer aber konnte es schon sagen? Er schlief ein. Als er wieder erwachte, wurde es draußen gerade dunkel. Er wollte die Lampe anzünden, fand aber keinen Feuerstein und ging hinaus, um sich einen brennenden Span zu holen. Die Bäume waren im Licht der untergehenen Sonne purpurrot, der Himmel malvenfarben. Er entzündete den Docht. Sollte der Herr, in Seiner unendlichen Weisheit, die Menschen wie Kinder behandeln? Es gab genügend Engel im Himmel, um die Hand eines jeden Menschen zurückzuhalten, der im Begriff war, einen Irrtum zu begehen; und trotzdem blieben die Engel dort oben, ihr Eingreifen hätte nur bedeutet, daß die Sterblichen weder Verstand noch Willen besaßen. Also würde der Herr auch keinen Messias schicken, damit dieser die Probleme löste, die die Menschen selbst geschaffen und in denen sie sich nun verstrickt hatten.
    »Nein, Herr, keinen Messias!« murmelte er, während er den Docht etwas hinaufdrehte.
    Stimmen ertönten draußen zwischen den Bäumen. Unwillig riß er sich von seinen Gedanken los. Wer rief da »Rabbi Jesus!« wie ein verlorenes Kind?
    »Hier bin ich«, antwortete er. Der Schein der Lampe, die er hochhielt, um besser sehen zu können, fiel auf

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