Ein Mensch namens Jesus
brauche Arbeit«, sagte Jesus.
»Mein Haus soll auch dein Haus sein, du sollst an meinem Tisch den Platz des Hausherrn einnehmen«, antwortete der Zimmermann. »Und du wirst sehen, daß mein Haus gewiß nicht das einzige in Betanien sein wird, das dir bis ans Ende der Zeiten offensteht.«
Und wieder das Ende der Zeiten! dachte Jesus.
Der Zimmermann namens Nathan war vor die Tür getreten, um die Leute zusammenzurufen. Kaum daß man Zeit gehabt hätte, drei Verse zu lesen, waren auch schon zehn Personen in der Werkstatt versammelt. Und bis man sechs gelesen hätte, waren es dreißig. Bald hatte sich auf der Straße ein ganzer Menschenauflauf gebildet.
»Da ist er, der uns von Jokanaan angekündigt wurde!« rief Nathan mit feierlicher Stimme. »Dies ist unser Messias!«
Da gab es kein Entrinnen. Die Sache mußte ein für allemal klargestellt werden. Jesus, der bisher schweigsam geblieben war, begegnete den entsetzten, ungläubigen oder verblüfften Blicken.
»Damit wir uns recht verstehen«, sagte Jesus schließlich zu Nathan gewandt, an dessen selbstzufriedenem Gesichtsausdruck abzulesen war, daß er sich als der Herold des Messias betrachtete. »Was ist deiner Meinung nach ein Messias?«
»Das ist der Mann, der von Jahwe geschickt wird, um uns vom Übel zu befreien«, antwortete Nathan.
»Das ist aber doch noch nicht alles, was du über ihn weißt? Ein Messias ist ein Mann, dem die höchste Stellung zuteil geworden ist. Das bedeutet, daß er ein König ist, und ein echter König Israels muß von David abstammen, nicht wahr?«
»Ja, das mag schon so stimmen.« Nathan nickte.
»Wenn ich nun der Messias bin, so auch König der Juden, und was wird deiner Ansicht nach ein Nachkomme Davids tun?«
»Krieg wird er führen gegen die Römer.« Beifälliges Gemurmel wurde in der Menge laut. »Ja, ja, Krieg!«
»Gut«, sagte Jesus. »Sehe ich aus wie einer, der bald den Krieg erklären wird? Und mit welchen Soldaten? Aber laß es dir gesagt sein, und das gilt auch für euch alle«, rief er und wandte sich an die Menge, »selbst wenn ihr das Gegenteil behauptet und mir versichern wollt, daß sich das ganze Volk aus den fünf Provinzen unter meinen Befehl stellen würde, müßte ich euch antworten, daß ihr im Irrtum seid. Durch einen Krieg werden unsere Probleme nicht gelöst. Und zwar weil der Grund für unsere Probleme nicht bei den Römern, sondern in der Vergangenheit unseres Volkes liegt. Ein Krieg würde daran nichts ändern. Wir sind die Sklaven der Römer, weil wir einem kranken Schaf gleichen, das sich gegen den Schakal nicht wehren kann.«
Eine alte Frau trat vor. »Jokanaan hat zu meinem Sohn gesagt, daß du der Messias bist. Wenn du es nicht bist, wer bist du dann?«
»Wenn du einen Namen für mich brauchst, so nenne mich einen Verteidiger des Gesetzes Mose.«
»Und was, meinst du, sind dann die Priester?« fragte ein Rabbiner. »Verrückte, die den Hundekot aufsammeln?« Er drehte sich zur Menge und rief laut, jedem Menschen sei es freigestellt, das Mosaische Gesetz auf eigene Faust zu verteidigen, die Schüler irgendwelcher Möchtegernpropheten wie Jokanaan jedoch seien hierzu gewiß nicht befähigter als jene, die es ihr Leben lang studiert hätten.
»Wenn du dir deines guten Rechts so sicher bist«, versetzte Jesus, »dann besteht kein Grund, die Priester mit Verrückten zu vergleichen, die Hundekot von der Straße aufsammeln. Im Gegenteil, du müßtest dich beglückwünschen, mehr Menschen guten Willens auf deiner Seite zu haben.«
Doch der Rabbiner stand angriffslustig vor ihm, machte dann sogar noch einen drohenden Schritt auf ihn zu, wobei er keifte, das Volk Israels und er selbst hätten die Nase voll von diesen falschen Propheten, Aufsässigen und Unruhestiftern, die er mit Füchsen in einem Hühnerstall verglich.
Auch Jesus ging nun einen Schritt auf diesen Kampfhahn von Priester zu, der ihm allzu viele schlechte Erinnerungen ins Gedächtnis rief, und sprach zu ihm mit beherrschter, aber eindringlicher Stimme: »Vielleicht, Rabbiner, gäbe es weniger Rebellen, wenn die Zustände in diesem Lande Israel anders wären. Wenn du niemals zu knapp bemessene Scheffel und in Hungerjahren das Getreide zum dreifachen Preis verkauft hast, wenn du niemals die Trauer einer Witwe ausgenützt hast, wenn du niemals Wucherzinsen erhoben oder den Armen und Schwachen verachtet hast, nie einem Bettler Brot und Salz verweigert hast, wenn du niemals einem Reichen den Ehebruch vergeben und den Schwachen zur
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