Ein sicheres Haus
Make-up erst zur Hälfte aufgetragen und nur ein Auge mit Lidstrich und Wimperntusche geschminkt hatte. Sie wirkte verletzlich.
»Laura?« sagte ich durch den Spalt. »Tut mir leid, wenn ich ungelegen komme. Ich dachte, vielleicht könnte ich ein paar Minuten mit Ihnen reden.« Der Ausdruck gereizter Höflichkeit einer Fremden gegenüber, die ungelegen kommt, wich überraschtem und, wie ich feststellte, leicht entsetztem Erkennen. »Ich bin Sam Laschen«, fügte ich hinzu. Die Tür öffnete sich weiter und gab den Blick auf die große Halle mit ihrem gepflegten Parkett frei. Die Atmosphäre, die das Haus ausstrahlte, zeugte von unaufdringlichem Reichtum und Geschmack.
»Meine Liebe, natürlich, Sie waren auf einer meiner Partys, mit …«
Auf ihrem Gesicht zeichnete sich zuerst Unruhe und dann Interesse ab.
»Mit Michael Daley. Ja. Tut mir leid, daß ich hier einfach so aufkreuze. Ich muß etwas herausfinden, und ich habe mich gefragt, ob Sie mir vielleicht helfen könnten. Ist es Ihnen lieber, wenn ich später wieder komme?« Sie sah mich aus zusammengekniffenen Augen an. War ich das Klatschthema Nummer eins oder eine gefährliche Verrückte? Offenbar das Klatschthema.
»Nein, das heißt, ich muß heute erst später ins Krankenhaus.
Gestern habe ich noch zu Gordon gesagt … Kommen Sie doch herein.«
Ich folgte ihrer stämmigen, in Chenille gewandeten Gestalt in den Raum, wo ich ein paar Monate zuvor Spargel gegessen und Weißwein getrunken hatte. »Ich ziehe mir nur schnell etwas an.
Möchten Sie eine Tasse Kaffee? Oder Tee?«
»Kaffee.«
»Es dauert nicht länger als fünf Minuten«, sagte sie, und als sie die Treppe hinaufging, hörte ich sie ungeduldig rufen:
»Gordon. Gordon! «
Während ich allein im Zimmer war, nahm ich das Handy heraus, das das Krankenhaus mir zur Verfügung gestellt hatte und bei dessen Benutzung ich mir noch immer ziemlich wichtigtuerisch vorkam, und wählte eine Nummer.
»Hallo, könnte ich bitte mit Philip Kale sprechen? Nein, ich warte.«
Ich nannte meinen Namen, und nach ein paar Sekunden meldete sich Kale.
»Dr. Laschen?« Er war offenbar verblüfft und, wie immer, in Eile.
»Ja, ich dachte, Sie könnten mir vielleicht Finns – Fiona Mackenzies – Blutgruppe nennen. Aus Ihrem Autopsiebericht.«
»Ihre Blutgruppe? Ja, natürlich. Ich rufe Sie zurück.«
Die Aussicht, daß ein Mobiltelefon in meiner Tasche zu piepsen begann, war alles andere als verlockend.
»Nein, ich bin heute den ganzen Tag unterwegs«, sagte ich.
»Ich werde Sie anrufen. In ungefähr einer Stunde, ja? Vielen Dank.«
Aus der Küche hörte ich die elektrische Kaffeemühle und das Klirren von Porzellan. Ich wählte eine zweite Nummer.
»Hallo, ist dort das Krankenhaus? Ja, könnten Sie mich bitte mit Margaret Lessing im Personalbüro verbinden? Maggie?
Hallo, hier ist Sam.«
»Sam!« klang es aus dem Hörer. »Hallo, was gibt’s?«
»So einiges. Können Sie etwas für mich tun? Ich möchte einen kurzen Blick in Fiona Mackenzies Akte werfen. Sie war doch nach dem Mordversuch im Krankenhaus. Könnten Sie sie mir besorgen?«
Sie zögerte einen Moment.
»Es spricht nichts dagegen.«
»Danke, Maggie. Soll ich irgendwann später noch vorbeikommen?«
»Rufen Sie mich vorher an.«
»Ja, gut. Bis bald.«
Laura fühlte sich jetzt wohler, das sah ich. Der Ausdruck ihres Gesichts unter den glänzenden grauen Löckchen war weniger zurückhaltend. Sie trug ein graugrünes, knielanges Kostüm, das zweite Auge war geschminkt, und sie hatte Lippenstift aufgetragen. Sie stellte ein Tablett auf den Tisch zwischen uns –
eine Kanne, zwei Porzellantassen mit kleinen Silberlöffeln, ein zierliches Kännchen, zur Hälfte mit Milch gefüllt, sowie blaßbraune und cremeweiße Zuckerwürfel in einer Schale. Ich dachte an die Milchflasche und das Marmeladenglas auf meinem Küchentisch, die noch immer nicht ausgepackten Kartons auf dem teppichlosen Boden meines Arbeitszimmers.
Ich würde niemals diese Art Stil haben. Gott sei Dank.
»Wie geht es Ihnen? Wir haben Sie alle so bewundert.« Laura schenkte mir gewandt eine Tasse Kaffee ein, und ich gab einen Schuß Milch dazu.
»Gut, danke.« Ich trank einen Schluck. »Ich wollte mit jemandem reden, der Finn kannte.«
Laura sah geschmeichelt aus. Sie legte eine starke, wohlmanikürte Hand auf meine Knie in den Jeans.
»Was Sie durchgemacht haben, ist schrecklich; ich meine, sogar für Leute wie uns, die nicht unmittelbar betroffen sind, war es schockierend,
Weitere Kostenlose Bücher