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Ein sicheres Haus

Titel: Ein sicheres Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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einer kleinen, armseligen Kirche, kaum mehr als eine Hütte, mit einem einzigen Fenster und einer an der Außenmauer angebrachten Tafel, die besagte, daß sie aus dem achten Jahrhundert stamme. Man hatte sie als Scheune, als Kuhstall und, wie es der hiesigen Tradition entsprach, als Lager für geschmuggelte Weinfässer benutzt. Und bitte keine Abfälle hinterlassen. Ich fragte Finn direkt, ob sie sich überlegt habe, was sie tun werde. Sie zuckte mit den Achseln, trat einen Stein aus dem Weg, schob die Hände tiefer in die Taschen.

    »Du kannst nicht dableiben, das weißt du. In ein paar Monaten fängt mein Job an. Und dein Leben ist sowieso nicht hier.«
    Sie murmelte etwas.
    »Was?« Ich schaute zu ihr hinüber. Ihr Gesicht war mürrisch gegen den Wind gerichtet.
    »Ich habe gesagt«, antwortete sie wütend, »daß mein Leben nirgends ist.«
    »Schau, Finn …«
    »Ich will nicht darüber reden, okay? Sie sind nicht meine Mutter. «
    »Da wir gerade beim Thema sind«, sagte ich so sachlich wie möglich, genervt von ihrem Ton, » meine Mutter kommt morgen zum Mittagessen.«
    Finn blickte auf. Ihr Gesicht verlor den Ausdruck von Verschlossenheit.
    »Wie ist sie? Ist sie Ihnen ähnlich?«
    »Ich glaube nicht.« Ich stockte und lächelte. »Vielleicht doch, mehr, als mir lieb ist. Vielleicht ist sie auch mehr wie Bobbie.
    Sehr konservativ. Sie findet es furchtbar, daß ich nicht verheiratet bin. Ich glaube, das ist ihr gegenüber ihren Freundinnen peinlich.«
    »Möchte sie, daß Sie Danny heiraten?«
    »Gott, nein.«
    »Kommt Danny bald wieder?«
    Ich zuckte mit den Schultern, und wir gingen weiter, setzten den weiten Bogen fort, der uns nach Hause zurückführen würde.
    »Sam? Wer war Elsies Vater?«
    »Ein netter Mann«, antwortete ich kurz angebunden. Dann wurde ich weich und war über mich selbst erstaunt, als ich etwas zu Finn sagte, was ich fast niemandem sonst anvertraut hatte.
    »Er starb ein paar Monate vor Elsies Geburt. Er hat sich umgebracht.«
    Finn schwieg. Das war die einzig richtige Reaktion. Ich sah eine Gelegenheit.
    »Du sprichst nie über deine Vergangenheit, Finn. Ich verstehe das. Aber erzähl mir etwas. Erzähl mir von etwas, das für dich wichtig war, eine Person, eine Erfahrung, irgendwas.«
    Finn marschierte weiter und gab nicht zu erkennen, daß sie mich gehört hatte. Ich machte mir Sorgen, sie vielleicht verprellt zu haben. Nach ungefähr hundert Metern fing sie an zu sprechen, noch immer gehend, noch immer nach vorn blickend.
    »Haben Sie gehört, wie ich das letzte Jahr verbracht habe?«
    »Jemand hat mir erzählt, du wärst durch Südamerika gereist.«
    »Ja. Das kommt mir jetzt alles so unwirklich und weit entfernt vor, so sehr, daß ich ein Land kaum vom anderen unterscheiden kann. Es war eine seltsame Zeit für mich, eine Art Genesung und Wiedergeburt. Aber an eines erinnere ich mich genau. Ich war in Peru und ging nach Machu Picchu, das im Reich der Inka irgendeine wichtige Bedeutung hatte. Wenn man zur Zeit des Vollmonds dort ist, kann man sieben Dollar für etwas bezahlen, das boleto nocturno heißt, und man kann die Sehenswürdigkeit bei Nacht besichtigen. Ich ging hin und schaute mir den Intihuatana an – das ist der einzige steinerne Kalender, der nicht von den Spaniern zerstört wurde –, und ich stand da im Mondschein und dachte über Licht und darüber nach, daß Reiche zerfallen und sterben wie Menschen. Das Reich der Inka gibt es nicht mehr. Auch das spanische Imperium gibt es nicht mehr. Als ich da stand, dachte ich darüber nach, daß nur diese Ruinen überlebt haben, die Bruchstücke, und das schöne Licht.«
    So hatte ich Finn noch nie reden hören und war tief berührt.
    »Das ist schön, Finn«, sagte ich. »Warum wolltest du mir das jetzt erzählen?«
    »Sie haben mich gefragt«, sagte sie, und ich fühlte mich ein klein wenig zurückgewiesen.
    Als das Haus wieder in Sicht kam, sagte Finn:
    »Was werden Sie für Ihre Mutter kochen?«
    »Für meine Eltern. Dad kommt auch. Ach, ich weiß nicht. Ich werde in den Supermarkt gehen und irgendwas Fertiges kaufen.«
    »Kann ich für sie kochen?«
    »Kochen?«
    »Ja. Das würde ich gern machen. Und könnten wir auch Dr. Daley einladen?«
    Ich war überrascht, als ich feststellte, daß ein kleiner Teil von mir Finns Anhänglichkeit an Michael Daley übelnahm. Das war zwar verständlich, denn er war ein Kontakt zur Normalität, er sah gut aus, er war der Hausarzt. Aber gegen alle Vernunft wollte meine Eitelkeit, daß sie

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