Ein sinnlicher Schuft
»Äußerst erfreulich, wenngleich ein wenig vulgär. Trotzdem akzeptiere ich jedes Lob, das gerechtfertigt ist. Ich bin ein Genie. Aber Sie, meine Liebe, sind eine wahre Schönheit.«
Pru drehte sich vor dem Spiegel hin und her, um sich von allen Seiten zu betrachten. Eine wahre Schönheit? »Ich bin nich mal halbwegs hübsch, Sir. Das hier is ganz allein Ihr Werk.«
Lementeur nahm ihre Hand und lächelte ihr sanft im Spiegel zu. »Meinen Sie nicht, es wäre an der Zeit, diesen ebenso entzückenden wie unpassenden Akzent abzulegen, meine Liebe? Brauchen Sie den wirklich noch?«
Pru erstarrte. Wie kam der Modeschöpfer dazu, so etwas zu sagen? Schon wollte sie schnippisch reagieren, besann sich indes eines Besseren. Von diesem Mann hatte sie wirklich nichts zu befürchten. Sie lächelte ihn schüchtern an. »Woran haben Sie es erkannt, Sir?«
Lementeur betrachtete sie mit leicht geneigtem Kopf. »Perfekte Haltung. Elegante Anmut. Eine Stimme wie ein Engel. Und wenn Sie sich in einem Augenblick der Gereiztheit vergessen, halten Sie das Kinn in einem derart hochmütigen Winkel, wie es keine Prinzessin besser könnte.«
»Sie sind ein sehr guter Beobachter. Ich hoffe, Sir Colin folgt nicht Ihrem Beispiel.«
Er schüttelte den Kopf. »Warum sagen Sie es ihm nicht einfach? Welche Probleme auch immer eine solche Scharade erfordern, er würde Ihnen gewiss heraushelfen. Er ist ein sehr bewundernswürdiger Zeitgenosse.«
Pru seufzte. Es war nicht mehr als ein leichtes Ausatmen, doch Lementeur verzog dramatisch die Brauen. »Aha. Sie lieben ihn, und er sucht eine andere.«
»Er möchte Melody legitimieren«, brach es aus ihr heraus, bevor sie erschrocken die Hand vor den Mund schlug. Aber er lächelte bloß, und Lachfältchen bildeten sich an seinen Augenwinkeln. »Meine Liebe, ich bin wohlvertraut mit dem Rätsel um Lady Melody. Ist sich Sir Colin denn dieser Miss Marchant so sicher? Sie müssten es eigentlich wissen, weil Sie für sie gearbeitet haben. Ist sie tatsächlich Melodys Mutter?«
Pru zuckte betrübt die Achseln. »Ich weiß es leider nicht zu sagen. Zu der fraglichen Zeit kannte ich sie nicht einmal. Es wäre möglich, nehme ich an. Sie ist nicht besonders… zurückhaltend.«
Lementeur zog erneut eine Augenbraue hoch. »Wie höflich. Ich denke, Sie haben mir vorher besser gefallen.«
Sie konnte nicht anders, als ihn schief anzugrinsen. »Was Sie auch sagen, Chef. Is ja schließlich Ihr Kleid und so.«
Er lachte glucksend. »Köstlich.« Dann drehte er sich um und zog ein mitternachtsblaues Cape aus einer anderen Schachtel, das er ihr mit einer weit ausholenden Bewegung über die Schultern warf. Zuletzt zog er die Kapuze behutsam über ihr Haar, sodass ihre gesamte Aufmachung verborgen wurde. »Behalten Sie die auf, bis Sie beim Ball eintreffen.« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Geheimnisvoll zu wirken ist alles.«
Dann trat er ein paar Schritte zurück und betrachtete sie voller Stolz. »Und jetzt los, Prinzessin Prudence. Ihr Prinz wartet bereits in der Kutsche auf Sie.«
Vierunddreißigstes Kapitel
S ie fuhren in einer eleganten Mietkutsche bei dem Ball vor.
»Wir haben keine Einladung, deshalb müssen wir so aussehen, als würden wir dazugehören«, erklärte Colin. Es war fast das Einzige, was er zu ihr sagte, und sie selbst blieb stumm, verbarg sich in ihrem Umhang, um geheimnisvoll zu wirken.
Colin, wie sie ausgestattet von Lementeur, sah ebenfalls großartig aus. Er trug ein schwarzes Abendcape, und Pru freute sich fast so sehr auf seine Enthüllung wie auf ihre eigene.
Die fehlende Einladung bereitete ihnen keine Schwierigkeiten. Warum, das erkannte sie, als die Hand des Lakaien zu seiner Westentasche glitt. »Gibt es irgendwen, den Sie nicht bestechen können?«
»Das Vermögen meiner Familie ist endlich zu etwas gut.« Colin zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Vergessen Sie nicht, auf Ihre Sprache achtzugeben.«
Pru nickte stumm, denn schon kam ein weiterer Diener auf sie zu, um ihr den Mantel abzunehmen. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Würde Colin Gefallen an der echten Miss Prudence Filby finden? Mit einer einzigen anmutigen Bewegung befreite sie sich von ihrem Cape, reichte es dem wartenden Lakaien und drehte sich um.
Colin erstarrte mitten in der Bewegung. Vergaß, seine eigene Garderobe abzulegen, hatte nur noch Augen für sie. Sie schimmerte. Ihr Kleid war eine Kreation aus blauer Seide und die perfekte Ergänzung zu dem rotbraunen Haar, das zu einer
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