Ein sueßer Kuss als Antwort
entzündet.
Abigails Schluchzer verebbten, und Eve stand auf, ohne das Kind aus den Armen zu lassen. „Komm, meine Kleine“, flüsterte sie dem Mädchen ins Ohr, „wir gehen zu Miss Lacy, die bringt euch heim, ja? Und denk an die Zaubersalbe!“
Sarah und sie brachten die beiden Mädchen zur Kutsche. Nachdem die drei sicher auf ihren Plätzen saßen, trat Eve zu Lord Stainton, der sich auf sein Pferd schwang.
„Ich glaube nicht, dass Abigails Verletzung Anlass zur Sorge gibt“, sagte sie. „Man strauchelt nun mal auf dem Weg des Lebens. Das gehört zum Erwachsenwerden dazu.“
„Hoffentlich täuschen Sie sich da nicht, Mrs. Brody“, entgegnete Lord Stainton von oben herab. „Für gewöhnlich pflegen meine Töchter jedoch nicht wie die Wilden herumzurennen.“
„Dann sollten sie das in Zukunft vielleicht öfter mal tun“, schoss Eve wütend zurück. „Es dürfte ihrer Gesundheit weitaus zuträglicher sein, als wenn sie den ganzen Tag drinnen eingesperrt sind.“
„Meine Kinder werden nicht eingesperrt !“ Lucas funkelte sie an. „Sie werden behütet – und zwar von einer sehr verantwortungsbewussten Kinderfrau.“
„Das mag ja schön und gut sein, solange sie klein sind, aber …“
„… doch dann bräuchten sie eine Mutter – das wollten Sie doch sagen – oder, Mrs. Brody?“ Lord Staintons Stimme hatte einen eisigen Unterton angenommen, aber es schwang noch etwas anderes mit. Etwas, das Eve nicht zu deuten wusste. „Da sind wir ausnahmsweise einmal einer Meinung“, fuhr er fort. „Leider haben sie nun mal keine …“
„Entschuldigen Sie bitte, wie wäre es, wenn Sie mich erst einmal ausreden ließen?“, fiel Eve ihm ins Wort. „Ich hatte sagen wollen, dass eine Gouvernante das Richtige wäre für Ihre Töchter.“
Er holte tief Luft. „Wenn mich nach Ihrem Rat verlangen sollte, werde ich mich sicher an Sie wenden. Aber bis dahin liegt die Erziehung meiner Kinder allein in meiner Verantwortung.“
„Bei Ihrer Einstellung befürchte ich allerdings das Schlimmste.“
„Welch Impertinenz, Mrs. Brody! Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie in Zukunft Ihre Nase nicht in meine Angelegenheiten stecken würden.“
Eve wich einen Schritt zurück, als er sich auf sein Pferd schwang und davonritt. Sie nahm ihm seine Worte nicht wirklich übel. Sie wusste, wie schwer es für ihn sein musste, die Last der Verantwortung für seine beiden Töchter allein zu tragen. Dazu kam, dass er gerade erst von Sarahs Kündigung erfahren hatte. Eve hoffte inständig, dass er bald einen adäquaten Ersatz fand.
Lucas ritt hinter der Kutsche her und blickte sich noch ein paar Mal nach der temperamentvollen Frau um, die sich wieder zu ihren Freunden gesellte. Dann wandte er entschlossen den Kopf und strich Mrs. Brody aus seinen Gedanken.
Es war tiefe Nacht. Stille hatte sich über das Haus der Seagroves gesenkt. Allein Eve war noch wach. Sie saß vor ihrem Toilettentisch und starrte blicklos in den Spiegel. Sie liebte England, und das Haus in der Berkeley Street war ein Ort der Zuflucht für sie. Aber trotz allem … sie fühlte sich zutiefst einsam.
Vor drei Monaten war ihr Vater unerwartet verstorben. Sein Tod hatte eine entsetzliche Lücke in ihrem Leben hinterlassen. Wochenlang war sie wie gelähmt gewesen, hatte sich mit Estelle regelrecht in ihrem Haus vergraben. Doch es sollte nicht lange dauern, bis ganze Scharen von Verehrern bei der reichen Erbin Eve Brody anklopften. Sie hatte alle Avancen abgelehnt, aber schließlich war ein Brief ihrer Freundin Beth eingetroffen, in dem diese sie einlud, nach England zu kommen und bei ihr und ihrer Familie zu leben. Eve hatte erleichtert angenommen. Sie und Beth kannten sich seit Kindertagen, hatten in New York Tür an Tür gelebt, bis Beth William Seagrove begegnet und ihm nach London gefolgt war.
Eve beneidete ihre Freundin um deren glückliche Ehe und wünschte sich, die Dinge hätten sich für sie ebenso entwickelt. Aber leider war ihr dies nicht vergönnt gewesen. Andrew Brody, ihr Gatte, hatte nach nur sechs Monaten Ehe unter mysteriösen Umständen den Tod gefunden und sie, nur vier Monate vor Estelles Geburt, als Witwe zurückgelassen.
Seufzend rief Eve sich zur Ordnung. Solche Gedanken brachten sie nicht weiter. Es galt zu überlegen, wie sie ihr Leben gestalten sollte. Sie konnte nicht ewig im Haus der Seagroves bleiben und deren Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Außerdem hatte ihr Anwalt sie davon in Kenntnis gesetzt, dass es geraume
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